13.11.2023

Das Bürgergeld wird immer teurer und unsozialer

Das Bürgergeld hat zu Beginn des Jahres das Arbeitslosengeld II, allgemein Hartz IV, genannt, abgelöst. Das bedeutete nicht nur mehr Geld für die Begünstigten. Zugleich wurden die Bedingungen für den Bezug gesenkt. Mit anderen Worten: Mit „Stütze“ zu leben wurde besser und einfacher zugleich.

Das hat Folgen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) braucht für das Bürgergeld in diesem Jahr einen deutlichen Nachschlag. Laut F.A.Z. wird nach Angaben des Finanzministeriums bis zum Jahresende "mit weiteren Ausgaben von insgesamt rund 4,45 Milliarden Euro“ gerechnet. Für die rund 3,9 Millionen „erwerbsfähigen Leistungsbezieher“ muss der Steuerzahler in diesem Jahr demnach knapp 26 Milliarden Euro aufwenden – mindestens.

In den gestiegenen Kosten spiegelt sich der Anstieg der Arbeitslosenzahlen ebenso wider wie die Tatsache, dass Flüchtlinge aus der Ukraine vom ersten Tag an Bürgergeld beziehen. Sie müssen sich nicht zunächst mit den niedrigeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bescheiden.

Die Bürgergeld-Couch wird zum Arbeitsplatz

Zudem gibt es deutliche Hinweise, dass die großzügigen Leistungen manchen Arbeitnehmer dazu verleiten, lieber auf Staatskosten zu leben als von der eigenen Arbeit. Die Bürgergeld-Couch wird dann zum „Arbeitsplatz“.

Beim Bürgergeld wurden die Geldleistungen zu Beginn dieses Jahres um 11 Prozent angehoben. Zum 1. Januar werden es weitere 12 Prozent sein. Über solche Anhebungen würden sich die meisten Arbeitnehmer (und Steuerzahler) freuen.

Darüber hinaus hat die Ampel auf Betreiben von SPD und Grünen den Zugang zu dieser staatlichen Leistung erleichtert, ihn deutlicher attraktiver gemacht. Die FDP hat dabei – wider besseres Wissen – mitgemacht.

Wer Bürgergeld erstmals beantragt, bei dem übernimmt der Staat im ersten Jahr die Kosten für die Wohnung, ganz gleich, wie groß und wie teuer diese ist. Vorhandenes Vermögen muss erst angetastet werden, wenn es bei einer Familie mit zwei Kindern 95.000 Euro übersteigt – eine sehr großzügige Lösung.

Bürgergeld oder „bedingungsloses Grundeinkommen“?

Zurzeit stehen einem Paar mit zwei Kindern nach Angaben des Arbeitsministeriums ein Regelbedarf von 2311 Euro im Monat zu. Darin sind neben 1548 Euro Geldleistung auch die Kosten für eine angemessenem Wohnung enthalten, im Durchschnitt 743 Euro. Zum 1. Januar 2024 wird die Geldleistung auf 1759 Euro steigen.

Bei solchen „Netto-Einkommen“ lohnt sich eine niedrig bezahlte Tätigkeit häufig nicht. So klagen Reinigungsfirmen, Bäckereien oder Spediteure, dass Bürgergeldempfänger Jobangebote ablehnen, weil ihnen die Differenz zwischen Bürgergeld und Lohn zu gering ist.

Beim Bürgergeld ist schon der Begriff falsch. Er erweckt den Eindruck, als stehe diese Leistung jedem Bürger zu. In der Tat erweckt die Ampel mit den Neuregelungen den Eindruck, der Bürger könne wählen, ob er arbeiten wolle oder nicht.

Das Bürgergeld ist von einem „bedingungslosen Grundeinkommen“ nicht mehr weit entfernt. Das zeigt sich auch daran, dass die Sanktionen bei der Weigerung, eine Arbeit aufzunehmen, entschärft wurden.

Das Bürgergeld macht es denen, die partout nicht arbeiten wollen, leichter als bisher. Es weist zudem schlimme Konstruktionsfehler auf.

Wissenschaftlicher Beirat stellt Heil mieses Zwischenzeugnis aus

Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium hat Arbeitsminister Heil, dem Vater des Bürgergelds, jedenfalls ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt. Bürgergeldbeziehern, die sich etwas hinzuverdienten, bliebe zu wenig Geld.

Zudem geben es regional große Unterschiede bei der Übernahme der Mietkosten. Nicht zuletzt beklagen die Wissenschaftler die Unübersichtlichkeit bei  Zuverdienstgrenzen und Nettoeinkommen.

Die Kritik des Professoren-Gremiums macht deutlich, dass die Bundesregierung beim Übergang von Hartz IV zum Bürgergeld sich keine Mühe gemacht hat, das Nebeneinander verschiedener Sozialleistungen wie Bürgergeld, Wohngeld oder Kinderzuschlag zu beenden oder zumindest die verschiedenen Systeme besser aufeinander abzustimmen.

Das Bürgergeld ist nebenbei höchst unsozial

Das belegen die Wissenschaftler mit dem Beispiel einer Familie mit zwei Kindern in München. Der Alleinverdiener verdient monatlich 4000 Euro brutto und hat Anspruch auf Wohngeld und Kinderzuschlag.

Steigt sein Lohn um acht Prozent auf 4320 Euro, bleiben der Familie netto vier Euro weniger. Denn Kinderzuschlag und Wohngeld werden bei steigendem Einkommen abgeschmolzen.

Das Resümee der Wissenschaftler: In vielen Fällen werde ein Lohnplus „zu 100 Prozent mit Wohngeld und Kinderzuschlag verrechnet“. Das sei „höchst problematisch“.

„Höchst problematisch“ ist noch zu milde formuliert. Was hier passiert, ist unsozial. Die derzeitige Fülle an staatlichen Sozialleistungen ist das Ergebnis einer fahrlässigen Politik: Immer mehr Geld für immer mehr Berechtigte – unkoordiniert und teilweise unüberlegt.

Gute Sozialpolitik hilft denen, die sich nicht selbst helfen können. Wenn der Staat aber – wie beim Bürgergeld – so großzügig ist, dass sich zu arbeiten für manche kaum noch lohnt, dann wird aus sozialer eine höchst unsoziale Politik. Merkt das in der Ampel denn keiner?

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 13. November 2023)


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