27.01.2017

„Merkel hat den konservativen Flügel der eigenen Partei vernachlässigt“

Bundeskanzlerin „Angela Merkel und ihr Generalsekretär gingen zu lange davon aus, die Bürgerlich-Konservativen hätten ja gar keine andere Wahl, als die CDU zu wählen. Deshalb haben sie den konservativen Flügel in der eigenen Partei vernachlässigt und nicht ernst genommen. Angela Merkel war beispielsweise nicht bereit, mit dem konservativen ‚Berliner Kreis‘ auch nur zu reden.“ Darauf weist der Journalist und frühere FAZ-Mitherausgeber Hugo Müller-Vogg im KATH.NET-Interview hin. Müller-Vogg hat erst vor wenigen Monaten sein Buch mit Gesprächen mit dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach herausgebracht.

kath.net: Herr Dr. Müller-Vogg, eine Mehrheit unserer Medien lässt kaum ein gutes Haar an Trump – man möchte schon fast scherzen: Dabei hat er doch wirklich Haare genug. Wie erleben bzw. bewerten Sie die Berichterstattung?

Dr. Hugo Müller-Vogg: Die meisten deutschen Medien haben republikanische Präsidentschaftskandidaten und Präsidenten wie Nixon, Reagan, die beiden Bushs, McCain oder Romney grundsätzlich negativ dargestellt. Deshalb haben die Demokraten in Umfragen bei deutschen Bürgern immer weitaus besser abgeschnitten als bei ihren eigenen Landsleuten. So besehen praktizieren die meisten unserer Medien gegenüber Trump „business as usual“.

kath.net: Wie riskant ist es für Trump, die amerikanischen Mainstreammedien derart offensiv herauszufordern?

Müller-Vogg: Die klassischen Medien können – auch in Amerika – die politische Diskussion nicht mehr kontrollieren, haben ihre „Türwächterfunktion“ weitgehend eingebüßt. Dennoch kann Trump bei einem „Krieg“ gegen die Zeitungen und die großen TV-Networks nur verlieren.

kath.net: Wie ist Ihre eigene Haltung und Erwartung gegenüber dem „Experiment Trump“?

Müller-Vogg: Ich hätte ihn sicher nicht gewählt. In seiner Antrittsrede hat er auf erschreckende Weise deutlich gemacht, dass er sich nicht als Führer der freien Welt sieht, sondern allein als Sachwalter amerikanischen Wirtschaftsinteressen. Wenn Europa da nicht zusammenrückt, wird es gefährlich für uns.

kath.net: Trump scheint auf Protektionismus hinzusteuern. In einer Exportnation wie Deutschland löst dies natürlich Sorgen aus. Was steht uns da ins Haus?

Müller-Vogg: Die US-Wirtschaft ist international viel zu sehr verflochten, als dass Trump das Land von Importen völlig abschotten könnte. Falls er BMW aus Mexiko hoch besteuert, kann BMW sein US-Werk mit 8000 Arbeitsplätzen schließen. Bei einem Handelskrieg können wir alle nur verlieren, werden wir alle ärmer. Die Lage ist also komplizierter, als Trump redet. Aber negative Folgen für unsere Teile Exportwirtschaft sind dennoch nicht auszuschließen.

kath.net: Wie sollte sich die Bundesregierung künftig zu Trump stellen?

Müller-Vogg: Ganz nüchtern und pragmatisch. Er ist der demokratisch gewählte Präsident der USA; er denkt in „deals“. Also: „dealen“ wir mit ihm.

kath.net: Immerhin wecken Demokratie und Politik wieder mehr Interesse. Zwar setzen uns die stärker werdende Polarisierung und Streitigkeiten zu – aber die Zeit der Politikverdrossenheit scheint erst einmal vorbei zu sein. Könnten die aktuellen Entwicklungen zu einer Stärkung echter demokratischer Meinungsvielfalt beitragen?

Müller-Vogg: Wir haben es meines Erachtens eher mit einer Parteien-Verdrossenheit zu tun und weniger mit einer Politik-Verdrossenheit. Aber richtig ist: Die gegenwärtigen Herausforderungen – Trump, Brexit, islamistischen Terrorismus, Putins Zündeln – wecken das Interesse an Politik. Wenigstens das ist ein Plus.

kath.net: Sie brachten vergangenes Jahr einen vielbeachteten Interviewband mit Wolfgang Bosbach heraus. Wie werten Sie es, dass ein Politiker vom Kaliber Bosbachs sich inzwischen praktisch als Außenseiter in der eigenen Partei empfindet?

Müller-Vogg: Wolfgang Bosbach steht da nicht allein. Es gibt noch andere CDU-Politiker seiner Richtung, die sich in der CDU allenfalls als „Geduldete“ betrachten. Angela Merkel und ihr Generalsekretär gingen zu lange davon aus, die Bürgerlich-Konservativen hätten ja gar keine andere Wahl, als die CDU zu wählen. Deshalb haben sie den konservativen Flügel in der eigenen Partei vernachlässigt und nicht ernst genommen. Angela Merkel war beispielsweise nicht bereit, mit dem konservativen „Berliner Kreis“ auch nur zu reden. Die Etablierung der AfD ist auch ein Ergebnis dieser Politik. Zwei Mitbegründer der AfD, Alexander Gauland und Konrad Adam, kommen aus dem „Berliner Kreis“. Allerdings kann und darf die CDU meiner Meinung nach kein Angebot an die völkischen und rechtsradikalen AfD-Wähler machen.

kath.net: Gelegentlich wird eine „Sozialdemokratisierung“ der CDU kritisiert. Wäre es an der Zeit, auch die konservativere Seite der Union wieder stärker zu pflegen?

Müller-Vogg: Es ist höchste Zeit, dass die CDU konservativen Wählern klar macht: Wir bekennen uns zu unseren drei Wurzeln – der christlich-sozialen, der liberalen und der konservativen.

kath.net: Grenzsicherung, Flüchtlingssituation, wachsenden Terrorgefahr, Erstarken der AfD, was erwarten Sie, wird die Bundesregierung in diesen Themenbereichen tun – gerade auch vor der Bundestagswahl?

Müller-Vogg: Die CDU hat ja schon vor einiger Zeit begonnen, die Politik der offenen Grenzen vom September 2015 zu korrigieren. Die SPD hat immer gebremst, ist letztlich aber eingeschwenkt. Die Asylpakete I und II oder das Integrationsgesetz – dass alles waren Unions-Forderungen, die von SPD und Teilen der Grünen zuerst bekämpft und dann doch mitgetragen wurden. Nach dem schrecklichen Anschlag vom Breitscheidplatz wird die Große Koalition – auch mit Blick auf die AfD – diese Politik verstärkt fortsetzen. Das heißt: Die Regierung wird darauf drängen, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, sie wird Abschiebungen forcieren, sie wird viel mehr in die Sicherheit investieren (Videoüberwachung, Aufstockung der Sicherheitskräfte) und die Grenzkontrollen verschärfen. Das alles kommt spät – aber besser spät als gar nicht.

Veröffentlicht auf www.kathnet.de am 25. Januar 2017.


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