02.02.2023

Faesers Motto: Erst die Person, dann die Partei, dann das Land

Das hatte sich Olaf Scholz anders vorgestellt. Als er nach seiner Wahl zum Bundeskanzler das angeblich beginnende sozialdemokratische Jahrzehnt ausrief, stellte er gleich personell die Weichen. Zur Innenministerin berief er eine hessische Landtagsabgeordnete, die zwischen Kassel und der Bergstraße nur wenige kannten – und im Bund so gut wie niemand: Nancy Faeser. Aus parteipolitischer Sicht machte das durchaus Sinn. Mit dem Innenministerium als Sprungbrett und schlagzeilenträchtigen Aufgabengebieten wie Innere Sicherheit oder Sport sollte die Juristin bekannter und populärer werden.

Die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl im Oktober wäre auch ohne diese Beförderung auf die damalige Oppositionsführerin in Wiesbaden zugelaufen. Andere überzeugende Kandidaten haben die Genossen, die im einst „roten Hessen“ seit 1999 die harten Oppositionsbänke drücken, nicht aufzubieten. Aber die große Berliner Bühne sollte ihrer Kandidatur einen zusätzlichen Schub versetzen.

Das Herz ist in Hessen – aber nur ein bisschen

Der Scholz’sche Plan ging jedoch nicht auf; jedenfalls nicht so, wie gedacht. Faeser denkt nämlich nicht daran, im Fall einer Wahlniederlage auf ihren alten Stuhl im Wiesbadener Plenarsaal zurückzukehren. „Oppositionsführerin war ich schon“, verkündete sie jetzt via „Spiegel“ auch den eigenen Parteifreunden. Von denen hatten viele ein klares Bekenntnis zu Hessen erwartet und erhofft – auf welcher Position auch immer. Hatte Faeser nach ihrem Umzug nach Berlin nicht immer wieder betont, „mein Herz ist in Hessen“.

Das mag ja sein. Doch ihr kühl kalkulierende Kopf hat anders entschieden: Ministerpräsidentin würde Faeser gerne werden, aber nicht noch einmal Oppositionsführerin. Dass ist aus ihrer Perspektive sogar verständlich. Die Bundespolitik in Berlin mitzugestalten ist allemal attraktiver, als in einem Landtag die Opposition anzuführen. In Washington, Brüssel oder Katar aufzutreten ist zudem spannender, als Volksfeste in hessischen Kleinstädten zu eröffnen. Faeser formuliert das natürlich geschickter. Im Falle einer Wahlniederlage „werde ich weiterhin als Bundesinnenministerin meiner Verantwortung gerecht werden.“

Nicht in die Röttgen-Falle getappt

Mit dieser klaren Aussage hat Faeser die vielzitierte Röttgen-Falle vermieden. Der damalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen von der CDU wollte 2012 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen werden. Doch er weigerte sich beharrlich, klar zu sagen, ob er auch bei einer Wahlniederlage nach Düsseldorf kommen werde. Da fühlte sich mancher Wähler in dem Bindestrich-Land, wo es beim Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Rheinländern und Westfalen bisweilen hakt, nicht ernst genommen. Das Ergebnis: Röttgen fuhr für die CDU das bisher schlechteste Wahlergebnis ein. Obendrein warf Angela Merkel den Verlierer aus dem Kabinett. Dumm gelaufen.

Das kann Faeser so nicht passieren. Die Hessen wissen, dass Faesers Herz nur dann weiterhin kräftig für ihr Land schlägt, wenn sie Regierungschefin wird. Die Aussichten dafür sind allerdings nicht allzu rosig. In Umfragen kämpfen SPD und Grüne mit jeweils 22 Prozent um Platz zwei hinter der CDU, die bei 27 Prozent liegt. Das sagt noch gar nichts über den Wahlausgang am 8. Oktober. Aber die in Hessen ohnehin starken Grünen haben mit dem im Land sehr präsenten stellvertretenden Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir eine Nummer eins, mit der sie durchaus vor der SPD landen könnten.

Teilzeit-Ministerin oder Teilzeit-Wahlkämpferin?

Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und sein Koalitionspartner Al-Wazir werden sich im Wahlkampf in einem Punkt einig sein: bei dem Vorwurf, Faeser liege mehr an der persönlichen Karriere als am Land. Zudem haben CDU ebenso wie Grüne bereits begonnen, der Innenministerin vorzuwerfen, man könne nicht gleichzeitig ein so wichtiges Bundesministerium und den Wahlkampf in Hessen führen. Faeser sagte dazu, „es sind jetzt nicht die Zeiten, Wahlkampf zu machen.“ Das werden ihre Wettbewerber anders sehen. So dürfte sich die SPD-Frau bald entscheiden müssen, ob sie für einige Zeit Teilzeit-Ministerin oder Teilzeit-Wahlkämpferin ist. Beide Fulltime-Jobs sind gleichzeitig kaum zu bewältigen.

Die Ironie der Geschichte: Faeser wandelt genau auf den Spuren des früheren Bundesinnenministers Manfred Kanther (1993-1998) von der CDU. Kanther hatte als Generalsekretär die Hessen-Union zu einem konservativen Kampfverband geformt, der den regierenden Sozialdemokraten das Leben zunehmend schwer machte. Der von den Sozialdemokraten als „Law-and-Order“-Politiker geschmähte CDU-Mann trat 1995 gegen den damaligen Amtsinhaber Hans Eichel (SPD) an.

Auf den Spuren Manfred Kanthers

Im Wahlkampf hatte er nie einen Hehl daraus gemacht, dass er keineswegs als Oppositionsführer zurück nach Hessen gehen werde. Die CDU wurde mit ihm zwar stärkste Partei, aber Rot-Grün verteidigte seine Mehrheit. Kanther blieb folglich in Bonn. Auf ihn wird sich Faeser jedoch kaum als „Vorbild“ berufen wollen. Denn Kanthers Ruf als einer der Hauptbeteiligten in der CDU-Spendenaffäre ist nicht der beste.

Faeser hat mit ihrer Ankündigung, keinesfalls Oppositionsführerin zu werden, für Klarheit gesorgt. Getreu der Devise: erst die Person, dann die Partei, dann das Land. Ihre Chancen hat sie damit sicherlich nicht verbessert. „Politiker auf Durchreise“ können viele Menschen weder begeistern noch überzeugen. Wenigstens muss Faeser jetzt nicht mehr lange nachdenken, mit welcher musikalischer Begleitung sie über Plätze und durch Säle ziehen will. Da ist der Hit von Hildegard Knef alternativlos: „Ich hab' noch einen Koffer in Berlin. Der bleibt auch dort und das hat seinen Sinn.“

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 2. Februar 2023)


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