01.06.2022

Der Tankrabatt leidet an einem Konstruktionsfehler

Es ist nicht so schlimm gekommen, wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck noch vor einer Woche angekündigt hatte: Dass die Preise von diesem Mittwoch an erst einmal steigen würden, weil die Autofahrer angesichts fallender Spritpreise die Tankstellen stürmten. Es ist aber auch nicht so schön geworden, wie die Bundesregierung uns es vorgerechnet hatte: Dass die Senkung der Energiesteuer um 30 Cent je Liter samt der entsprechend reduzierten Mehrwertsteuer die Autofahrer um 35,2 Cent beim Liter Benzin und um 16,7 Cent bei Diesel entlasten würde.

Die Autofahrer konnten heute billiger tanken, aber eben nicht in dem rechnerisch zu erwartenden Umfang. Und die Preissenkungen fielen von Ort zu Ort unterschiedlich aus. Nach Angaben des Vergleichsportals „benzinpreis-aktuell.de“ verlangten die Tankstellen an diesem Mittwoch um 7:00 Uhr im Bundesdurchschnitt 1,92 Euro für den Liter E 10 und 1,99 Euro für einen Liter Diesel. Am gestrigen Dienstag wurden zur selben Zeit – um 7:00 Uhr ist der Kraftstoff immer besonders teuer –für E 10 noch 2,20 Euro und für Diesel 2,15 Euro verlangt.

Die Spritpreisbremse greift also, aber bei weitem nicht so stark, wie von der Ampel geplant und versprochen. Zudem hatte die Mineralölwirtschaft im Vorgriff auf die Steuersenkung die Preise nochmals deutlich angehoben. Ohnehin hatten die Konzerne nicht daran gedacht, die Senkung der Energiesteuer um 30 Prozent an die Verbraucher weiterzugeben. Einen Teil davon lenken sie lieber in die eigenen Taschen um.

Die von der Ampel versprochene Entlastung der Autofahrer, vor allem der stark belasteten Pendler, fällt also in die Kategorie „gut gemeint, schlecht gemacht.“ Denn hinter dem Konzept steckt ein schlimmer Konstruktionsfehler: Die Kraftstoffunternehmen sind rechtlich gar nicht verpflichtet, die Steuersenkung eins zu eins weiterzugeben. Darauf hat Andreas Mundt, der Chef des Kartellamtes jetzt hingewiesen. Nur bei unseren Regierenden scheint das niemand gewusst zu haben.

Ganz abgesehen davon ist diese Entlastung der Autofahrer eine recht einseitige Sache. Je größer der Spritverbrauch, umso höher ist die Ersparnis beim Tanken. Die vielen Fernpendler mit kleineren, nicht so viel Sprit fressenden Fahrzeugen sind so gesehen die Dummen.

Dass Steuersenkungen nicht unbedingt voll und ganz beim Verbraucher landen, haben die Autofahrer schon bei der zeitweiligen Senkung der Mehrwertsteuer im ersten Corona-Jahr erfahren müssen. Die Spritpreise gingen weniger zurück, als es rechnerisch geboten gewesen wäre. Die Mineralölkonzerne behielten nämlich ein Drittel der für Verbraucher gedachten Ersparnis für sich.

In einer marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaft ist es ganz normal, dass Unternehmen ihre Preise selbst festlegen, ohne staatlichen Einfluss. Doch müssen sie stets darauf achten, wie sich die Wettbewerber verhalten. Falls ein Anbieter nämlich zu teuer ist, werden die Kunden zur Konkurrenz gehen. Bei einem funktionierenden Wettbewerb kann sich kein Unternehmen erlauben, bei einer Steuersenkung den Preis nicht zu senken, wenn andere das tun. Sonst laufen ihm die Kunden davon.

Nun ist es kein Geheimnis, dass von einem echten Wettbewerb der Tankstellen kaum die Rede sein kann. Jeder Autofahrer kann selbst sehen, wie die Preise an benachbarten Tankstellen mehr oder weniger im Gleichklang steigen oder fallen, und das gleich mehrfach am Tag. In der Rushhour ziehen sie an, um die Mittagszeit gehen sie zurück, vor Wochenenden steigen sie besonders. Kartellamtschef Andreas Mundt, dessen Amt solche Praktiken eigentlich ahnden müsste, spricht verharmlosend von einer „eingeschränkten Wettbewerbsintensität im Kraftstoffmarkt.“ Auf Deutsch: Die Mineralölkonzerne liefern sich keinen echten Preiskampf, weil sie sich gegenseitig nicht weh tun wollen. Sie kassieren die Autofahrer lieber gemeinsam ab.

Dies alles ist nicht neu. Das Kartellamt beteuert immer wieder, die Preisentwicklung stets genau zu verfolgen, um etwa illegale Preisabsprachen mit Bußgeldern zu ahnden und zu unterbinden. Doch ist den Wettbewerbshütern nur ganz selten der Nachweis gelungen, dass Preise auf missbräuchliche Weise manipuliert werden. Immerhin scheinen die Ankündigungen des Kartellamts, nach der Senkung der Energiesteuern ganz genau hinzuschauen, die Ölmultis veranlasst zu haben, die steuerliche Entlastung zum Teil in den Preisen zu berücksichtigen. Wobei völlig offen bleibt, in welchem Umfang die Preise in nächster Zeit wieder anziehen werden.

Es war deshalb fahrlässig, dass die Ampel schätzungsweise mehr als 3 Milliarden Euro in eine zeitlich befristete „Spritpreisbremse“ investiert, die die Gewinne der Ölmultis erhöht. Zumal Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) aus den Erfahrungen mit der befristeten Mehrwertsteuer 2020 hätten wissen müssen: Nichts liegt den Mineralölkonzernen ferner, als Steuersenkungen zu hundert Prozent bei ihrer Preispolitik zu berücksichtigen.

Halten wir also fest: Die Mineralölkonzerne haben nicht zuletzt unter öffentlichem Druck die Steuersenkung zum Teil weitergegeben. Gleichwohl hat die Regierung den Autofahrern mehr versprochen, als sie liefern kann. Um es mit den Worten des sonst eher sorgfältig formulierenden Ökonomen Clemens Fuest zu sagen: Diese Spritpreisbremse ist „insgesamt großer Quatsch.“

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 1. Juni 2022)


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