08.06.2021

SOZIALDEMOKRATEN: Schlimmer geht’s nimmer

8,4 Prozent in Sachsen-Anhalt. 8,4 Prozent in einem Bundesland, in dem die Sozialdemokraten zwischen 2002 und 2011 immer über 20 Prozent erreicht hatten. 8,4 Prozent gegenüber den schon schwachen 10,6 Prozent vor fünf Jahren entsprechen einem Verlust von 20 Prozent. Viel schlimmer geht’s eigentlich nimmer.

Es sind noch keine 24 Stunden vergangen, als die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken der gescheiterten Spitzenkandidatin Katja Pähle wortreich dankt, ihr und allen „Mitwahlkämpfenden“. Mögen die Zeiten noch so schwer und der Ausblick auf kommende Wahlen noch so trübe sein: Das Gendern vergisst Esken nie, jedenfalls nicht, solange ein Mikrofon in der Nähe ist.

Nahe am Menschen durch Gendern?

Man könnte es als Realitätsverlust bezeichnen, wenn die SPD-Vorsitzende sich so ausdrückt, als interessiere die Menschen „draußen im Lande“ nichts mehr als eine geschlechterneutrale Ausdrucksweise. Doch Esken scheint selbst zu glauben, sie wäre näher an den Menschen als andere Politiker, die so sprechen wie die übergroße Mehrheit der Bürger und Wähler. Auch ihr Vorsitzenden- Kollege Nobert Walter-Borjans bedient sich fleißig, wenn auch bisweilen unbeholfen, politisch überkorrekter Formulierungen. Ja selbst der knochentrockene Olaf Scholz meint, sich als „intersektioneller Feminist“ outen zu müssen, um sich der Parteilinken als „echter truly Sozialdemokrat“ anzudienen. Ob die Menschen dort, „wo es laut ist; da, wo es brodelt; da wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt“ (Sigmar Gabriel) auch nur ahnen, worum es dem feministischen Gender-Trio Scholz/Esken/Walter-Borjans geht?

Die SPD hat sich offenkundig ihre eigene Welt geschaffen, ein von Akademikern und noch mehr Halbakademikern (mit (Ab)brüchen in ihrer Bildungslaufbahn) bevölkertes Universum. Dort geht man zwei Beschäftigungen nach: der Erarbeitung sehr theoretischer Entwürfe für ein neues, gerechtes, multikulturelles Land mit lauter Teilhabern sowie der sehr praktischen Versorgung der tonangebenden Genossen mit Posten und Ämtern in Politik und Verwaltung. Dies alles wird garniert mit Versprechungen für die kleinen Leute, für die Malocher, für die hart arbeitenden und meist schlecht bezahlten Frauen und Männer in Dienstleistungsberufen. Nur: Zwischen der Welt der Funktionäre und der realen Welt verläuft eine hohe und dicke Mauer.

Als die SPD noch im wahren Leben verankert war

Es ist noch gar nicht so lange her, als das noch anders war, als die SPD noch verankert und verwurzelt war im wahren Leben – mit engen Verbindungen zu den Gewerkschaften, den Sozialverbänden und vielen intellektuellen Zirkeln. Das alles ist erst gut zwanzig Jahre her. Der Bundeskanzler hieß Gerhard Schröder, und die SPD stellte in acht Ländern den Ministerpräsidenten. Ja, es war auch die Zeit der „Agenda 2010“, jenes mutigen Versuchs, den nicht mehr zu finanzierenden Sozialstaat auf eine neue Basis zu stellen – mit mehr Eigenverantwortung für den Einzelnen, durch Fordern und Fördern derer, die es in Zeiten wirtschaftlicher Umbrüche schwerer haben als andere.

Auch Schröder hatte beim rot-grünen Aufbruch 1998 noch geglaubt (oder so getan), als könne der Staat sich alles leisten. Aber als die Rechnung nicht aufging, hatte er den Mut umzusteuern. Dieser Mut fehlte der Funktionärskaste, die die rot-grüne Regierungspolitik allenfalls halbherzig unterstützte und vielfach kritisierte. Schließlich ist es allemal angenehmer, die mit einem Umbau des Sozialstaats verbundenen Härten zu beklagen, statt sie zu erklären und zu verteidigen.

Merkel heimste die „Agenda 2010“-Erfolge ein

Die SPD und die „Agenda 2010“ – da glich die Partei einem Händler, der ein neues Produkt ins Schaufenster stellt, interessierten Kunden aber erklärt, er wisse selbst nicht, ob er diese Novität empfehlen könne oder nicht. Das Ende der Geschichte ist bekannt: Die Erfolge der Agenda-Politik – eine wachsende Wirtschaft und eine sinkende Arbeitslosigkeit – heimsten Angela Merkel und die CDU/CSU ein, während die SPD mit sich selbst haderte. Warum aber hätten die Wähler bei einer Partei noch ihr Kreuz machen sollen, die mit ihrer eigenen Politik unzufrieden ist?

Mit der aus der Funktionärssicht falschen Politik erreichte die SPD 2005 noch 34 Prozent. Seitdem hat sich die Partei zielstrebig immer weiter nach links bewegt, hat sich den Grünen auf doppelte Weise angenähert: beim Vorrang der Klimapolitik vor wirtschaftlichen Überlegungen und bei einem möglichst unbegrenzten Zuzug von Asylsuchenden wie von solchen Menschen, die Asyl sagen, aber das soziale Netz meinen. Zugleich haben sie sich mit der Linken auf einen Überbietungswettbewerb bei sozialen Wohltaten und Steuererhöhungen eingelassen. Dabei fordert die Linke stets höhere Sozialleistungen und noch höhere Steuersätze, als selbst der linke Flügel der Partei. Da ist die SPD stets nur zweiter Sieger.

Weit weg von den versprochenen 30 Prozent

Immer ideologischer, immer linker: Dieser Kurs brachte der SPD bei der letzten Bundestagswahl gerade noch 20,5 Prozent ein. Als sie dann im Laufe der Legislaturperiode auf 12 – 14 Prozent absackte, sollte eine Bekräftigung dieser Politik die Wende bringen, verkörpert durch das Führungsduo Esken/Walter-Borjans und gesteuert vom Sozialisierungsexperten Kevin Kühnert. Von den damals von Esken propagierten 30 Prozent ist die Partei weiter entfernt denn je. Stattdessen dümpelt sie um die 15 Prozent herum, deutlich hinter den Grünen und nur noch knapp vor der FDP.

Der miserable Zustand der Bundes-SPD verdeckt freilich, dass die SPD es keineswegs verlernt hat, Politik im Schröder-Stil zu betreiben: pragmatisch und unideologisch das Soziale mit dem Ökonomischen und Ökologischen verbinden. Dort, wo die SPD nach diesem Muster agiert, ist sie unverändert stark, wie die Ergebnisse in Hamburg (39,2 Prozent), Niedersachsen (36,9 Prozent) und Rheinland-Pfalz (35,7 Prozent) zeigen. Aber die dort agierenden Ministerpräsidenten Peter Tschentscher, Stephan Weil und Malu Dreyer hätten gegen Esken/Walter-Borjans beim Kampf um den SPD-Vorsitz wohl keine Chance gehabt – zu „mittig“ und zu unideologisch.

Identitätspolitisches Geschwurbel

Natürlich leidet die SPD ebenso wie die CDU daran, dass es die alten Milieus nicht mehr gibt, dass die Bindewirkung großer Organisationen wie der Kirchen oder der Gewerkschaften nachgelassen hat, dass die Zahl der Stammwähler immer kleiner und die der nicht festgelegten Wechselwähler immer größer wird, dass die Neigung, es „denen da oben zu zeigen“ wächst – gegebenenfalls mit einer Stimmabgabe für die sich immer radikaler gebärdende AfD. Auch erliegen allzu viele SPD-Aktivisten der Versuchung, das, was sich in den sogenannten sozialen, häufig asozialen Medien abspielt, als repräsentativ zu erachten. Doch mit identitätspolitischem Geschwurbel lassen sich bei Twitter oder Facebook viele Follower gewinnen, aber keine Wahlen.

Als Esken und Walter-Borjans im Dezember 2019 auserkoren wurden, die SPD zu neuen Ufern zu führen, stand die Partei bei 15 Prozent. Vollmundig kündigte die neue Vorsitzende an, die Partei werde bis Ende 2020 wieder "Zustimmungswerte von 30 Prozent und vielleicht mehr" erreichen. Nur hat die Esken/Walter-Borjans-SPD nichts im Angebot, was mehr als 15 Prozent der Wähler attraktiv finden.

Als die SPD vor zwei Jahren Andrea Nahles stürzte und die Basis über Führungspersonal und Kurs entscheiden ließ, wies Forsa-Chef Manfred Güllner darauf hin, dass die Partei seit 1998 rund 13 Millionen Wähler verloren habe, bei der Ursachenforschung aber nicht vorankomme. Sein Rat: „Die SPD sollte darüber nachdenken, wie es so weit kommen konnte. Das tut sie gerade nicht, wenn sie immer weiter nach links schwenkt. Die SPD hat die Mitte verloren.“ Ein unverändert aktueller Befund.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 8. Juni 2021)


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