27.05.2021

Beim Fußball rollt nicht nur der Ball, sondern auch der Rubel

Noch ist die Bundesliga-Saison 2020/21 nicht zu Ende. Noch ist offen, ob der 1. FC Köln zusammen mit so traditionsreichen Clubs wie Werder Bremen und Schalke 04 den bitteren Weg in die 2. Liga antreten muss. Noch ist offen, ob Holstein Kiel ebenfalls schafft, was Bochum und Greuther Fürth bereits erreicht haben – den Sprung ins Oberhaus.

Bis zum letzten Pfiff geht es um Tore und Punkte. Aber Fußball ist nicht nur die wichtigste Nebensache der Welt. Wenn das Runde oft genug den Weg ins Eckige schafft, dann klingeln auch die Kassen, dann profitiert eine ganze Stadt oder Region, dann werden Arbeitsplätze geschaffen und Gewinne rund ums Stadion gemacht. Fußball ist mehr als ein Spiel. Fußball ist auch ein Wirtschaftsfaktor – und kein unwichtiger.

Es war kein Zufall, dass die Deutsche Fußball-Liga (DFL) den Start der Geisterspiele nach dem ersten Corona-Lockdown 2020 weniger mit der Sehnsucht der Fans als mit wirtschaftlichen Argumenten begründete.In der Spielzeit 2018/19 (neuere Zahlen liegen nicht vor) sorgte die Fußballbranche für eine Wertschöpfung von 11 Milliarden Euro. Das entspricht der Wertschöpfung des produzierenden Gewerbes der Bundesländer Bremen, Saarland und Mecklenburg-Vorpommern zusammen.

In der Saison 2019/20 erzielten allein die 36 Proficlubs der ersten und zweiten Liga einen Umsatz von 4,5 Milliarden Euro. Das waren wegen der vielen Spiele ohne Zuschauer bereits 6 Prozent weniger als beim „Normalbetrieb“ 2018/19. Diese 36 Fußball-Unternehmen beschäftigten 22.000 Mitarbeiter und führten 1,4 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben an den Staat ab. In der zu Ende gehenden Spielzeit dürften es weniger gewesen sein.

Mögen Fußball-Idealisten den Satz, „Geld schießt Tore“, entrüstet zurückweisen – falsch ist er nicht. Umgekehrt gilt ebenso: Tore bringen Geld, und das nicht zu knapp. Ein erfolgreicher Club lässt nicht nur die Herzen seiner Anhänger höherschlagen. Siege erfreuen auch die 22.000 Mitarbeiter der 36 Profi-Clubs sowie ihrer Tochtergesellschaften, im Schnitt gut 600 pro Verein.

Schalkes Abstieg bedeutet Abschwung für Gelsenkirchen

Es sind nicht nur die direkt bei den Vereinen beschäftigten Mediziner und Physiotherapeuten, Marketingfachleute und Fahrer, Sekretärinnen und Platzwarte, die vom sportlichen Wohlergehen ihrer Arbeitgeber profitieren. Zu den 22.000 Clubangestellten kommen nach Angaben der DFL noch 31.000 Mitarbeitern bei Dienstleistungsunternehmen hinzu, die im und ums Stadion tätig sind, in erster Linie Sicherheitsdienste und Catering-Unternehmen. Darüber hinaus sind noch viele Betriebe wenigstens teilweise Nutznießer des Fußballs: die örtliche Gastronomie und Hotellerie, der Einzelhandel, die Taxiunternehmen und nicht zuletzt die Betreiber von Fan-Shops. Wenn der Bundesligaball rollt, rollt bei ihnen automatisch der Rubel. Und wenn Tore und Punkte ausbleiben, gehen bei ihnen Umsätze und Gewinne zurück.

Jochen Grütters von der IHK Nordwestfalen hat so zusammengefasst, was der Abstieg von Schalke für Gelsenkirchen und Umgebung bedeutet: „Weniger Fans in der Arena bedeuten auch weniger Gäste in der Stadt und damit auch weniger Umsatz für die regionale Wirtschaft“. Eine Studie über die wirtschaftliche Bedeutung des Absteigers SV Werder für die Hansestadt kam zu dem Ergebnis, dass jeder Zuschauer für Anreise und Verzehr in Bremen 21 Euro ausgibt, zusätzlich zum Kauf von Tickets und Fanartikeln. Das heißt: Kommen zu einem Absteiger in der 2. Liga nur noch 15.000 statt der gewohnten 30.000 pro Spiel, gehen der Region knapp 5,5 Millionen Euro verloren. Das steigt mancher Kleinbetrieb schnell mit ab.

Jenseits aller Fußballromantik und „You never walk alone“-Rührseligkeit sind die Profivereine mittelständische Unternehmen. Aus gutem Grund sind viele keine „eingetragenen Vereine (e.V.) mehr, sondern Kapitalgesellschaften. So eine Firma zu haben, macht Studien jede Stadt attraktiver und es damit für die örtlichen Arbeitgeber leichter, Mitarbeiter für sich zu interessieren. Für den örtlichen Tourismus ist es ebenfalls kein Nachteil, wenn selbst notorische Fußballmuffel im Fernsehen wie in den Printmedien ständig mit den Namen der Fußballhochburgen konfrontiert werden.

Die Politik spielt beim Fußball gerne mit

Dieses „Kapital“ will gepflegt sein. Deshalb sind vor allem die Landes- und Kommunalpolitiker schnell bereit, finanziell angeschlagenen Clubs zu helfen. So stießen viele Bundesligisten auf offene Ohren, als sie schon nach dem ersten Lockdown Landesbürgschaften beantragten, um die Ausfälle bei den Ticketverkäufen und Werbeeinnahmen ausgleichen zu können.

Wie weit Politiker bei der Förderung des Wirtschaftsfaktors Fußball bisweilen gehen, zeigt das Beispiel von Eintracht Frankfurt vor 20 Jahren. Als der damalige Zweitligist 2002 um die Lizenz bangen und den Zwangsabstieg in Liga 3 befürchten musste, mobilisierte der hessische Ministerpräsident und Eintracht-Fan Roland Koch Unternehmen als Sponsoren, bei denen die Stadt Frankfurt und das Land Hessen als Anteilseigner etwas zu sagen hatten. So brachten der Rhein-Main-Verkehrsverbund, der Energieversorger Mainova, die Flughafengesellschaft Fraport und die Messe Frankfurt die fehlenden Millionen auf, um die Etatlücke zu schließen und die Eintracht zu retten. Spötter tauften den Verein damals um – in „Volkseigener Betrieb (VEB) Eintracht Frankfurt“.

Wie sich fehlender sportlicher Erfolg auf die Finanzen auswirkt, zeigen die Beispiele der beiden Absteiger Schalke und Werder. Schalke versucht, über eine Anleihe von knapp 16 Millionen Euro frisches Geld in die Kasse zu bekommen, Werder will sich am Kapitalmarkt sogar bis zu 30 Millionen Euro besorgen. Die Zinsen sind für Anleger in diesen Zeiten äußerst attraktiv: 5,57 Prozent bei Schalke, 6 bis 7,5 % bei Werder. Wie die FAZ berichtet, soll das Interesse an den Papieren recht hoch sein. Wobei mancher Fan bei einem solchen Investment wohl eher emotional als rational handeln dürfte. Aber im Geschäft mit dem Fußball geht es nicht anders zu als auf dem grünen Rasen: Ein Spiel dauert 90 Minuten und die Laufzeit dieser Anleihen beträgt fünf Jahre – jeweils mit offenem Ausgang.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 27. Mai 2021)


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