15.11.2020

Frau Doktor Giffey will trickreich den Rücktritt vermeiden

Ob sich jemand an der Universität akademisch ausgezeichnet hat oder sich gar mit einem Doktortitel schmücken darf, sagt überhaupt nichts darüber aus, ob er oder sie ein Ministerium führen oder Regierungschef werden kann. Familienministerin Franziska Giffey gehört nicht nur zu den stärksten SPD-Ministern Bundeskabinett; sie hatte auch beste Chancen, von 2021 an als Regierende Bürgermeisterin die Geschicke Berlins zu bestimmen. Giffey stand im Gegensatz zu dem glück- und hilflosen Amtsinhaber Müller für zupackende, unideologische SPD-Politik. Doch ihre Chancen, ins Rote Rathaus einzuziehen, haben jetzt einen kräftigen Dämpfer erhalten.

Schwerer Ballast für vermeintliche Heilsbringerin

Was den Titel von Frau Doktor Giffey angeht, ist dieser zum schweren Ballast für die vermeintliche Heilsbringerin der Hauptstadt-Genossen geworden. Sie werde den Doktortitel nicht mehr führen, hat die Politikerin jetzt erklärt, ganz gleich, wie die zweite Überprüfung ihrer Dissertation auch ausgehen mag. Die Aussichten, dass die erneute Untersuchung der offenkundigen wissenschaftlichen Mängel dieser Arbeit – anders formuliert: die Vielzahl der ohne korrekte Quellenangabe abgeschriebenen Passagen – glimpflich ausgehen könnte, stehen schlecht. Dass im ersten Verfahren trotz schwerer Mängel nur eine Rüge ausgesprochen wurde, hing nicht zuletzt damit zusammen, dass Giffeys Doktormutter in dem Gremium Regie führte. Der Freispruch zweiter Klasse war eben das Ergebnis einer im rot-rot-grünen Berlin nicht ungewöhnlichen Mauschelei. Jetzt aber droht die offizielle Aberkennung.

Als erste Gerüchte über die zahlreichen Plagiate ihrer Arbeit aufkamen, hatte Giffey tapfer angekündigt, vom Ministerarmt zurückzutreten, falls das Verfahren für sie negativ ausgehe. Doch offenbar will sie jetzt genau das vermeiden, indem sie auf den Titel verzichtet. Nicht auszuschließen, dass die Universität sogar auf eine zweite Überprüfung verzichtet, weil die unter Plagiatsverdacht stehende ehemalige Doktorandin scheinbar freiwillig den Titel auf Briefbogen und Visitenkarten streicht. Doch diese Trickserei ist zu offensichtlich, als dass Giffey noch glaubwürdig bleiben könnte. Was ist der Verzicht auf einen Titel, den man wohl nicht mehr rechtmäßig führen darf, eigentlich wert? Nichts.

Giffey schadet der gesamten politischen Klasse

Giffeys Ruf als neue, rechtschaffene Kraft in der verfilzten Berliner SPD ist angeschlagen. Das heißt aber nicht, dass die Genossen sie jetzt nicht mehr zur Landesvorsitzenden und Spitzenkandidatin küren werden. Denn selbst eine angeschlagene Giffey, die die Berliner mit ihrem Kiez-Charme demnächst vielleicht medienwirksam um Verständnis bittet, könnte in der Hauptstadt immer noch mehr Stimmen für die SPD holen als andere mögliche Spitzenkandidaten. Ohnehin dürfte es den Wählern in Neukölln oder Spandau ziemlich gleichgültig sein, ob Franziska Giffey vor vielen Jahren bewusst geschummelt hat oder schlicht nicht in der Lage war, eine saubere wissenschaftliche Arbeit abzuliefern.

Um ein guter Politiker zu sein, braucht man keine höheren akademischen Weihen. Wer aber seinen Titel mit unlauteren Mitteln erworben hat, darf sich nicht wundern, dass die eigene Glaubwürdigkeit darunter leidet. Zugleich gibt jeder, der in einer solchen Situation einfach weitermacht, als wäre nichts geschehen, denen Futter, die die ganze Politiker-Kaste für eine Ansammlung von Karrieristen halten, denen jedes Mittel recht ist. Eines ist klar: Eine titellose SPD-Spitzenkandidatin Giffey schadet dem Ruf der Politiker insgesamt. Und das ist nicht gut so.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 13. November 2020.


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