27.10.2020

Das Virus kommt nicht mit der Post

Daran besteht kein Zweifel: Deutschland ist bisher besser durch die Pandemie gekommen als die allermeisten europäischen Länder. Das gilt in Bezug auf Infektionen und Todesfälle, das trifft ebenso auf die wirtschaftlichen Folgen zu. Doch alle internationalen Vergleiche nutzen wenig, wenn wir auf das Ansteigen der Neuinfektionen schauen. Als die Kanzlerin vor kurzem vor täglich 19.000 Fälle bis Weihnachten warnte, erntete sie Hohn und Spott. Wirtschaftsminister Peter Altmaier befürchtet nun, dass wir diese Zahl schon in der nächsten Woche erreichen. Es gibt also gute Gründe, dass Angela Merkel ihr nächstes Krisentreffen mit den Ministerpräsidenten auf den morgigen Mittwoch (28.10.) vorgezogen hat.

Fehler müssen korrigiert werden

Von notorischen Corona-Leugnern und Verschwörungstheoretikern einmal abgesehen glaubt kein vernünftiger Mensch, dass demokratisch gewählte Politiker Freude daran haben, das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben noch weiter einzuschränken oder gar lahmzulegen. Auch waren die bisher ergriffenen Maßnahmen insgesamt vernünftig. Die Corona-Politik wird unverändert von der Mehrheit der Bürger für angemessen gehalten. Das schließt berechtigte Kritik an einzelnen Maßnahmen wie dem inzwischen wieder aufgehobenen Beherbergungsverbot nicht aus. Zu erwarten, dass die Politik in Zeiten wie diesen keine Fehler macht, wäre blauäugig. Wichtig ist, dass wieder korrigiert wird, was sich als nicht sinnvoll oder als rechtlich problematisch erweist.

Wenn die Infektionswelle gebrochen und unser Gesundheitssystem nicht überfordert werden soll, sind weitere Restriktionen unausweichlich. Da wird von allen Bürgern einiges abverlangt werden. Vor allem drohen den ohnehin schon gebeutelten Branchen wie Gastronomie und Hotellerie, dem Kultur- und Kunstbereich sowie vielen kleinen Selbständigen weitere schmerzhafte Einbußen. Da muss der Staat abermals helfend einspringen.

In anderen Ländern registrieren Unternehmer und Arbeitnehmer sehr wohl, in welchem Umfang Umsatz- und Einkommenseinbußen bei uns mit staatlichen Mitteln abgefedert werden. Wenn in Deutschland eine kleine, aber laute Minderheit über angeblich unerträgliche Beschränkungen jammert: Die Bewegungsfreiheit der Menschen ist hierzulande – beruflich wie privat – ungleich größer als etwa in Frankreich, Italien oder Spanien.

Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin auf einheitliche Regeln einigen werden, die in Ballungsgebieten ebenso gelten wie in dünn besiedelten Landstrichen, in Corona-Hotspots wie in Regionen, in denen es kaum Infizierte gibt. Unser föderales System erlaubt es, sich an den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zu orientieren. Diese Stärke des Föderalismus sollten wir gerade jetzt nicht aufs Spiel setzen.

Anstecken können wir uns nur selbst

Man muss ganz nüchtern feststellen, dass die Politik keine Wunderwaffe in der Hinterhand hat, mit der Corona besiegt werden könnte. Denn Covid-19 kommt nicht mit der Post zu uns nach Hause, seine Verbreitung wird ebenso wenig von Regierungen und Verwaltungen gesteuert. Übertragen wird das heimtückische Virus ganz allein von Menschen, die sich über alle Vorsorgeregeln hinwegsetzen: nicht Distanz halten, keine Masken tragen, auf Hygiene pfeifen, sich einen Spaß daraus machen, anders zu feiern, als es die Polizei erlaubt. Das betrifft nicht nur partywütiges Jungvolk. Der Leichtsinn und die Arroganz, mit denen sich gutbürgerliche Erwachsene bei privaten Einladungen, in Restaurants oder in Honoratioren-Clubs über die AHA-Regeln hinwegsetzen, sind ebenso erschreckend.

Vieles spricht dafür, dass Angela Merkel und die Länderchefs einen „Lockdown light“ beschließen werden, in der Hoffnung, so einen kompletten Stopp des öffentlichen Lebens und des Wirtschaftsgeschehens abwenden zu können. Aber die weisesten Beschlüsse unserer Regierenden können nicht ersetzen, was im Kampf gegen Corona unabdingbar ist: dass die Bürger die sattsam bekannten Regeln der Wissenschaftler befolgen. Dazu braucht es nicht viel – nur gesunden Menschenverstand.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 27. Oktober 2020


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