05.11.2019

Merkel hat mit der CDU offenbar abgeschlossen

Wer anhand der öffentlichen Auftritte Angela Merkels auf ihre Parteizugehörigkeit schließen wollte, hätte es schwer. Die Kanzlerin regiert wie immer: ohne großes Aufsehen, an der Sache orientiert, mehr reagierend als agierend. Aber bei ihrer Partei lässt sie sich nicht mehr sehen, seit sie vor elf Monaten den Vorsitz an ihre Wunschkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer abgegeben hat. Seitdem macht sie keinen Wahlkampf mehr, äußert sich nicht zu Auseinandersetzungen zwischen Union und SPD, schweigt zu Vorstößen, die CDU könne doch auch mal mit der Linken koalieren oder gar mit der AfD. Da kommt einem der Satz in den Sinn, mit dem Friedrich August III., der letzte Sachsenkönig, seine erzwungene Abdankung kommentiert haben soll: "Machd doch eiern Drägg (Dreck) alleene!"

So würde sich Merkel nie ausdrücken. Aber ihr demonstratives Desinteresse am weiteren Schicksal der Partei kann nicht überraschen. Merkel war als ehemalige DDR-Bürgerin eine politische Quereinsteigerin, die innerhalb weniger Monate von der stellvertretenden Regierungssprecherin in Ostberlin zur Bundesministerin in Bonn aufstieg. Wie es an der Parteibasis, in den Ortsvereinen zugeht, kennt sie allenfalls vom Hörensagen. Freilich hat sie damals blitzschnell gelernt, dass man ohne Rückhalt in der Partei nicht oben bleiben oder gar noch höher steigen kann.

Für Merkel war die Partei nie mehr als ein notwendiger Apparat

Merkel ist politisch nicht bereits in der Jungen Union sozialisiert worden, hat niemals das Gefühl für eine politische Glaubens- und Kampfgemeinschaft entwickelt, wie das für viele Parteiaktivisten in CDU und SPD charakteristisch ist. Die CDU war für Merkel nicht wie für Helmut Kohl oder Roland Koch zugleich eine Familie, sondern ausschließlich ein notwendiger Apparat, eine Kampfmaschine. Schon deshalb hat sie zur CDU keine emotionale Beziehung. Einen solchen Apparat nutzt man, aber man spürt keine Zuneigung zu ihm.

Es ist in gewisser Weise bezeichnend, dass Merkel 1990 in der Endphase der DDR bewusst nicht in die CDU eingetreten ist, sondern in den „Demokratischen Aufbruch“. Der DA trat nach anfänglichen Richtungskämpfen bald für Wiedervereinigung und Marktwirtschaft ein. Die Partei erreichte wegen der Stasi-Vergangenheit ihres Vorsitzenden bei der ersten freien Volkskammerwahl aber nur 0,9 Prozent, fusionierte bald darauf mit der Ost-CDU, die sich wiederum kurz danach mit der westdeutschen CDU vereinigte. Genau genommen ist Merkel durch Zufall in die CDU geraten. Hätte sich der „Demokratische Aufbruch“ mit der FDP zusammengetan, was programmatisch sehr wohl möglich gewesen wäre, hätte Merkel wohl bei den Freien Demokraten Karriere gemacht.

Kanzleramt und Wahlkampf schließen sich nicht aus

Merkel hat vor fast einem Jahr den CDU-Vorsitz abgegeben, weil sie spürte, wie ihr Rückhalt schwindet. Jetzt erwartet sie von „ihrer“ Partei, dass diese sie in der Koalition stützt. Als gewiefte Machtpolitikerin weiß sie sehr wohl, dass ihre Stellung dank der Verfassung stärker ist als die möglicher innerparteilicher Aspiranten auf das Kanzleramt. Der Eindruck drängt sich auf, dass Merkel nach dem Motto handelt, die CDU brauche sie aus machtstrategischen Gründen mehr als sie die Partei. So besehen wird Parteiarbeit schnell unwichtig.

In Merkels Umgebung wird ihre parteipolitische Zurückhaltung damit begründet, dass sie ganz bewusst ihrer Nachfolgerin das Feld überlasse, jeden Anschein des Nicht-Loslassen-Könnens vermeiden wolle. Aber Kanzlerschaft und parteipolitisches Engagement schließen sich keineswegs aus. Helmut Schmidt war nie Vorsitzender der SPD. Aber als Kanzler warf er sich in jede Wahlschlacht, warb und kämpfte für seine Partei. Dasselbe galt für Gerhard Schröder nach dem Verzicht auf den SPD-Vorsitz. Aber Schmidt und Schröder waren anders: Die SPD war für sie mehr als ein Machtapparat.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 4. November 2019.


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