16.10.2019

Die Angst der SPD vor Klartext beim Thema Migration

Das muss man den Sozialdemokraten bescheinigen: Sie machen es sich bei der Wahl des neuen Vorsitzenden-Duos nicht leicht. 23 Regionalkonferenzen und dazu Live-Streams – mehr Transparenz geht nicht. Einer der Kombattanten,der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius, hat jedoch auf eine thematische Schwachstelle der Kandidaten-Tournee hingewiesen: die Vernachlässigung von Themen wie Innere Sicherheit, Integration und Zuwanderung.

Da drängt sich die Frage auf, warum der Klartext redende Niedersachse nicht selbst stärker die Möglichkeiten der Vorstellungsrunden genutzt hat, um eine breite Migrations-Debatte innerhalb der SPD anzustoßen. Gleichwohl hat er Recht. Die SPD-Bewerber haben neben der Frage nach der Zukunft der Groko und der Klimapolitik vor allem die sozialdemokratischen Klassiker thematisiert: soziale Gerechtigkeit, Umverteilung, Vermögensteuer, Grundrente, höhere Mindestlöhne, Frauenförderung und „Kampf gegen rechts“. Den Zusammenhang zwischen der Willkommenskultur der vergangenen Jahre mit dem Anschwellen der Stimmen für die in Teilen rechtsradikale AfD haben die diskussionsfreudigen Genossinnen und Genossen kaum erwähnt.

Nun zeigen alle Wahlanalysen, dass die SPD gerade bei den Arbeitnehmern deutlich Stimmen an die AfD verloren hat. Zum einen verunsichert jede Meldung über kriminell gewordene Flüchtlinge jene Schichten besonders, die beispielsweise auch Nachts auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, oder besorgt registrieren, wie sich ihr Wohnumfeld in einer Weise verändert, das sie nicht als multikulturelle Bereicherung betrachten.

Zum anderen sind es vor allem die kleinen Leute, die die negativen Folgen einer ungeregelten Zuwanderung zu spüren bekommen – vor allem beim Kampf um knapp gewordenen bezahlbaren Wohnraum. Auch ist gerade bei den Empfängern von Transferleistungen der Eindruck weit verbreitet, der Sozialstaat spare an ihnen, weil er das Geld den Flüchtlingen nachwerfe. Dafür gibt es keine Belege; schließlich gibt es bei den Sozialleistungen keine Kürzungen. Dennoch herrscht gerade bei der Kernklientel der SPD das Gefühl vor, die Politik kümmere sich stärker um die Zugewanderten als um die Alteingesessenen. Offenbar hat die Regie der Regionalkonferenzen bewusst darauf geachtet, diese Themen nur am Rande behandeln zu lassen. Denn beim Thema Zuwanderung geht durch die SPD ein tiefer Riss. Der linke Flügel befürwortet völlig unkontrollierte Grenzen und feiert die eigene Unterstützung für die 2015/16 mit der SPD abgestimmte Willkommenspolitik Angela Merkels als Beleg für die eigene Weltoffenheit und humanitäre Multikulti-Gesinnung. Viele Kommunal- und Landespolitiker haben indes schon früh davor gewarnt, diese Politik werde die öffentliche Hand finanziell stark herausfordern und einen großen Teil der Bürger und SPD-Wähler überfordern. Doch die SPD hat sich entschieden, sich nicht mit den Ursachen für die Verunsicherung der eigenen Wählerschaft zu beschäftigen, sondern lieber mit den Nebenwirkungen: der Wiederauferstehung der 2014 schon totgesagten AfD.

Dass man als Sozialdemokraten auf die Herausforderungen der Flüchtlingswelle auch ganz anders reagieren kann, lässt sich in Dänemark studieren. Die dortigen Sozialdemokraten haben darauf mit einem einfachen Rezept reagiert: mehr Sozialstaat plus weniger Zuwanderung. Damit sind sie zur stärksten Partei geworden und haben die Rechtspopulisten klein gekriegt. Doch diese Strategie ist in Deutschland von der SPD-Linken quasi als Appeasement-Politik gegenüber den Rechtsaußen verstanden oder missverstanden worden.

Im Vorfeld der Vorsitzenden-Wahl ist bei der SPD deutlich geworden: Die Partei meidet die Themen Migration und Innere Sicherheit, weil die kommunal- und landespolitischen Praktiker die harte Auseinandersetzung mit den linken Ideologen scheuen – und umgekehrt. Auf der Strecke bleiben ehemalige sozialdemokratische Stammwähler, denen die Folgen der deutschen Flüchtlingspolitik Sorgen bereiten. Wer immer demnächst an der Spitze der SPD stehen mag: Solange die Sozialdemokraten hier keine Klarheit schaffen, sind und bleiben „15 Prozent minus X“ realistischer als 25 Prozent.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 15. Oktober 2019


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