15.07.2019

Otto Schily hat recht: Die SPD treibt mit von der Leyen ein schäbiges Spiel

Wer die Art und Weise kritisiert, wie Ursula von der Leyen von den Regierungschefs als Kommissionspräsidentin nominiert worden ist, hat viele gute Gründe auf seiner Seite. Dass am Dienstag nicht ein Spitzenkandidat im Parlament zur Wahl steht, bedeutet weniger Demokratie innerhalb der EU, nicht mehr. Aber das Spitzenkandidatenprinzip ist nun mal in den Brunnen gefallen. Auch deshalb, weil das Parlament sich nicht auf einen Wahlvorschlag einigen konnte.

Wer jetzt darauf hinarbeitet, dass die noch amtierende deutsche Verteidigungsministerin keine Mehrheit bekommt, der verhindert wahrscheinlich die erste Frau an der Spitze der EU und obendrein den ersten deutschen Präsidenten seit einem halben Jahrhundert. Noch schlimmer: Ein Votum gegen von der Leyen stürzte die EU in eine schwere institutionelle Krise, machte ihre Institutionen für längere Zeit handlungsunfähig und diskreditierte die EU in den Augen vieler Bürger. Zudem machte sich Europa gegenüber Washington, Peking und Moskau geradezu lächerlich.

Es sind vor allem die deutschen EU-Parlamentarier, die alles tun, damit dieser Fall eintritt. Katarina Barley, mit der die SPD bei der Europawahl von 27,3 auf 15,8 Prozent abgestürzt ist, führt die Anti-von-der-Leyen-Front an. Von Anfang an hat sie jedem versichert, sie werde die CDU-Politikerin auf keinen Fall wählen. Jetzt hat im „heute journal“ gleich vier Mal auf die Frage, wer denn dann Präsident werden solle, mit nichtssagenden Floskeln geantwortet, aber keinen einzigen Namen genannt. Die Strategie ist klar: Die deutschen EU-Abgeordneten wollen eine deutsche CDU-Politikerin an der Spitze der Kommission verhindern. Was dann kommt, interessiert sie nicht. Ex-SPD-Innenminister Otto Schily hat für diese Politik den passenden Ausdruck gefunden: „schäbig“.

Barley weiß natürlich, dass eine Niederlage von der Leyens nichts an den anderen Personalvorschlägen der Regierungschefs änderte. Der sozialdemokratische Spitzenkandidat Frans Timmermans hätte auch in diesem Fall keine Chance auf das Amt. Die Regierungschefs würden dann wohl einen anderen Politiker aus den Reihen der Europäischen Volkspartei vorschlagen. Unter Umständen geht Deutschland dann bei den Spitzenpositionen in der EU völlig leer aus.

Man wird den Eindruck nicht los, Barley & Genoss*innen spekulierten insgeheim darauf, dass von der Leyen – wenn sie schon nicht zu verhindern ist – letztlich mit den Stimmen der Nationalkonservativen aus Polen, Ungarn und anderen osteuropäischen Ländern gewählt wird. Um sie anschließend wenigstens als „Kommissionspräsidentin der Nationalisten“ schmähen zu können. Da mag Barley noch so oft davon reden, es gehe in erster Linie um Europa. Nein, den SPD-Abgeordneten in Straßburg geht es nachweislich nicht um Europa. Ihnen geht es um parteipolitisches Klein-Klein –zu Lasten Europas.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 15. Juli 2019.


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