25.09.2018

CDU/CSU-Fraktion will einen Neuanfang – gegen Merkel

Das gab es noch nie: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion rebelliert gegen die Parteivorsitzenden der Schwesterparteien, wählt den Außenseiter Ralf Brinkhaus zum neuen Chef und schickt den Kanzler-Knappen Volker Kauder aufs Altenteil. Seine Abwahl war ein Misstrauensvotum gegen die Kanzlerin. Denn die eigene Fraktion, das Rückgrat jeder Regierung, hat sich gegen sie gewandt. Das war die Quittung für die Flüchtlingspolitik wie für die Sozialdemokratisierung der CDU.

Kauder hat in erster Linie verloren, weil er ein Merkelianer ist. Auch die CSU-Abgeordneten sind der Wahlempfehlung ihres Parteivorsitzender Horst Seehofer für Kauder nicht so geschlossen gefolgt, wie das in der CSU eigentlich üblich war. Es spricht überdies Bände, dass die Mehrheit in der Fraktion keine Rücksicht auf die eigenen Wahlkämpfer in Hessen und Bayern nahm. Merkel das Etikett „lame duck“ zu verpassen, war ihnen offenkundig wichtiger als das gerade von bürgerlichen Wählern so sehr gewünschte Bild der Geschlossenheit und Harmonie.

Das macht die Lage der Großen Koalition noch schwieriger. Nach dem Gezerre im Fall Maaßen wollte die GroKo nochmals durchstarten, sich auf die Sacharbeit konzentrieren, sich erneuern. Man kennt diese Floskeln. Aber jedes Mal, wenn sie verwendet werden, ahnt man, dass sie eher hilflose Beschwörungen sind. Wenn eine Ehe heillos zerrüttet ist, dann ist das Ende absehbar – privat wie in der Politik. Wenn CDU, CSU und SPD nach dem „Fall Maaßen“ also von Erneuerung reden, dann ahnt man, was daraus werden wird – nämlich nichts. Das Trio Angela Merkel, Horst Seehofer und Andrea Nahles hat eines gemein: Alle drei sind innerhalb der eigenen Partei so geschwächt, dass keiner von ihnen noch mächtig genug wäre, um ein Machtwort zu sprechen. Merkel würde Seehofer wohl am liebsten aus dem Kabinett werfen, was aber beim Vorsitzenden der „Schwesterpartei“ nicht geht. Seehofer wiederum sieht in Merkel die „Mutti“ aller Probleme. Nahles wiederum kann von den beiden anderen als Vertragspartner nicht mehr ernst genommen werden. Die SPD-Vorsitzende hat nämlich keine Prokura; sie muss stets ängstlich darauf achten, ob die Stegners, Kohnens und Kühnerts ihr zustimmen.

CDU/CSU und SPD stehen heute noch schwächer da als nach dem schlechten Wahlergebnis von 2017. Auch deshalb hat diese Koalition hat kaum noch die Kraft, bis 2021 durchzuhalten. Zumal die SPD im Koalitionsvertrag bereits eine Sollbruchstelle eingebaut hat. „Zur Mitte der Legislaturperiode“, so wurde von den Koalitionsparteien vereinbart, „wird eine Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrages erfolgen, inwieweit dessen Bestimmungen umgesetzt wurden oder aufgrund aktueller Entwicklungen neue Vorhaben vereinbart werden müssen.“ Das heißt also, im Herbst 2019 könnte die SPD – ganz vertragstreu – zu dem Ergebnis kommen, dass sich eine Fortsetzung der Koalition nicht lohne. Da wird die Parteibasis bei anhaltend schlechten Umfragezahlen schon für den notwendigen Druck sorgen.

Wenn die GroKo-Parteien also eine Erneuerung wollen, wenn sie den Bürgern glaubwürdig „wir haben verstanden“ signalisieren wollen, warum dann bis 2019 warten? Das können CDU/ CSU und SPD schon jetzt haben. Eine echte Erneuerung setzte zweierlei voraus: Die Parteien machen den Wählern eine neues personelles Angebot – also ohne Merkel, Seehofer und Nahles. Und CDU/CSU und SPD lassen die Wähler entscheiden, wie es weiter gehen soll. Natürlich sind Neuwahlen immer ein Risiko. Wer aber Angst vor den Wählern hat, hat im Grunde Angst vor der Demokratie.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 25. September 2018.


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