13.06.2018

In der Flüchtlingsfrage läuft die CDU zu Seehofer über

Vor einer Woche, vor der ersten Kanzlerin-Befragung im Bundestag, hatte es aus der SPD geheißen, für Angela Merkel werde diese Fragestunde zum „Doomsday“, dem „Tag des Jüngsten Gerichts“ oder „Tag der Rache“. Bekanntlich ging es dann ganz harmlos zu – ganz im Sinne einer schlagfertigen Regierungschefin.

Einem „Doomsday“ ähnelte dagegen die Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Dienstag. Das habe er in seinen 13 Jahren im Bundestag noch nicht erlebt, berichtete ein CDU-Abgeordneter nach der gut eineinhalbstündigen Aussprache. Die Botschaft der Abgeordneten sei eindeutig gewesen: „Wir haben von Merkels Alleingängen die Nase voll.“ Ein anderer sprach von einem „Ultimatum“ der Fraktion an die Adresse der Kanzlerin. Da Merkel keine gute Schauspielerin ist, konnte jeder im Fraktionssaal an ihrem Mienenspiel ablesen, dass ihr klar wurde, wie geschwächt sie inzwischen ist.

Merkels Weigerung, dem vom CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer vorgelegten „Masterplan Migration“ im entscheidenden Punkt – Rückweisung von Flüchtlingen an der Grenze – zuzustimmen, stieß in der Fraktion überwiegend auf Ablehnung. Das war aber kein Konflikt zwischen den streitbaren „Schwestern“ CDU und CSU. Das war vielmehr ein Aufruhr des konservativen CDU-Flügels gegen die eigene Vorsitzende. Nach vierzehn, fast ausschließlich Pro-Seehofer-Wortmeldungen und den entsprechenden Beifallsbekundungen war klar: Bei dem Streitpunkt, ob in anderen EU-Ländern bereits registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden sollen oder nicht, stehen gut zwei Drittel der Unionsabgeordneten hinter Seehofer. Das heißt: Auch die Mehrheit der CDU-Parlamentarier liegt inzwischen auf Seehofers Linie.

An Merkels Flüchtlingspolitik hat es seit 2015 immer wieder Kritik aus den eigenen Reihen gegeben. Doch wurde Merkels Position dadurch nie ernsthaft gefährdet. In der alten Fraktion hatte das Stimmungsbild bis zur Bundestagswahl 2017 so ausgesehen: ein Drittel unterstützte Merkels Kurs, ein Drittel war strikt dagegen, ein Drittel war zwar skeptisch oder ablehnend, stand aber aus machttaktischen Erwägungen zur Willlkommens-Politik der Kanzlerin. Das hat sich offenkundig geändert – auch unter dem Eindruck der schweren CDU-Verluste bei der Bundestagswahl und den anhaltend guten Umfragewerten für die AfD. Wäre es am Dienstag zu einer Abstimmung gekommen, hätte Merkel deutlich verloren.

Der Streit ist höchst gefährlich, weil keine Einigung denkbar ist, ohne dass entweder Merkel oder Seehofer schwer beschädigt werden würden. Ein Kompromiss zu Lasten der CSU ist aber kaum denkbar, weil die Bayern bei der Landtagswahl im Oktober nur dann eine Chance auf ein eindrucksvolles Ergebnis haben, wenn sie in der Flüchtlingspolitik endlich „liefern“. Der Zuspruch zur AfD in Bayern hat nämlich auch damit zu tun, dass die CSU Merkels Politik seit 2015 stets heftig kritisiert („Herrschaft des Unrechts“), sie letztlich aber immer mitgetragen hat. Das haben viele CSU-Wähler durch Wahlenthaltung oder Wechsel zur AfD bestraft.

Die CSU braucht mit Blick auf die bayerischen Wähler beim „Masterplan“ einen klaren, sichtbaren Erfolg; mit einem Formelkompromiss wäre ihr nicht geholfen. Sollte Merkel da – auch um den Preis ihrer eigenen Demütigung – nicht mitmachen, müsste die CSU aus der Großen Koalition ausscheiden. Eine „GroKo minus CSU“ wäre ohne parlamentarische Mehrheit, könnte aber vorerst weiterregieren. Die CSU wiederum würde dann versuchen, die Landtagswahl in Bayern zu einem Volksentscheid gegen Merkels-Flüchtlingspolitik zu machen. Das könnte der CSU bei den Bayern sogar die notwendigen Stimmen bringen, um die absolute Mehrheit der Sitze zu verteidigen.

Eines ist sicher: Für die CSU ist die kommende Landtagswahl die „Mutter aller Schlachten“, viel wichtiger als das Schicksal der GroKo in Berlin. Denn nur eine im eigenen Land sehr starke CSU kann weiterhin in Berlin eine wichtige Rolle spielen. Somit liegt der Ball in Angela Merkels Spielfeld. Sie will von ihrer Politik der offenen Grenzen auf keinen Fall abrücken. Sie will mit Rücksicht auf Europa keine nationale Lösung. Sie will die Zustimmung, die sie bei Wählern links von der Mitte und in gutmenschlichen Kreisen genießt, ebenso wenig verlieren wie die Option auf Schwarz-Grün.

Allerdings: Merkel hat in ihrer Karriere mehrfach bewiesen, dass sie zu abrupten Kurswechseln in der Lage ist. Beispielsweise spricht sie heute vom Mindestlohn, als hätte niemand dafür so gekämpft wie die CDU. Auch in der Flüchtlingspolitik hat sie seit 2015 gleich zwei Mal einen abrupten Kurswechsel vollzogen – von „wir können nicht alle aufnehmen“ über „wir schaffen das“ und zurück zu „wir können nicht alle aufnehmen“. Eine Konstante ist bei ihr aber unübersehbar: ihr politischer Überlebenswille. Oder besser: war bisher unübersehbar.

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de vom 13.Juni 2018.


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