19.11.2022

Infantino präsentiert sich als Propagandaminister von Katar

Im Hauptberuf ist Gianni Infantino der Chef des Weltfußballverbands FIFA. Vor der Eröffnung der WM 2022 trat er indes auf wie der Propagandaminister des Emirats Katar. Das versucht bekanntlich, als Ausrichter des größten Fußballspektakels sich einen modernen Anstrich zu geben, obwohl der Alltag der einheimischen Frauen und der ausländischen Arbeitskräfte eher von mittelalterlichen Vorstellungen geprägt wird.

Der mächtige, skandalumwitterte Fußball-Boss schoss einen Tag vor dem Eröffnungsspiel gleich zwei fulminante Eigentore. Das erste, in dem er allen Ernstes behauptete, die FIFA und Katar selbst hätten dafür gesorgt, dass sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitsmigranten verbessert hätten. Und das zweite, in dem er sich zum Anwalt aller in dem Emirat unterdrückten und rechtlosen Menschen machte: „Ich weiß, wie es ist, diskriminiert zu werden. Ich wurde gemobbt, weil ich rote Haare hatte.“

Infantino verbreitete bis vor kurzem noch katarische Propagandalüge

Infantino und seine willigen Helfer in der vom Ruch der Korruption umwehten FIFA scheinen zu spüren, dass viele Fußballfans in aller Welt mit dem Gastgeberland ihre Schwierigkeiten haben: die fehlende Fußballtradition, die klimatischen Verhältnisse und nicht zuletzt die Tatsache, dass Menschenrechtsverletzungen dort Bestandteil des Systems sind. (Dass denselben Fans bei sportlichen Grossereignissen in Russland und China die Menschenrechte gleichgültig waren, steht auf einem anderen Blatt.)

Der Versuch Infantinos, ausgerechnet die FIFA und das Ausrichterland zu Motoren des gesellschaftlichen Fortschritts zu erklären, ist geradezu lächerlich. Ihm und den anderen Spitzenfunktionären war es bis vor kurzem völlig gleichgültig, wie viele ausländische Arbeiter beim Bau der Stadien und Hotels ums Leben kamen, wie sie ausgebeutet und unterdrückt wurden. Infantino selbst hat noch vor kurzem die katarische Propagandalüge verbreitet, es wären lediglich drei Arbeiter zu Tode gekommen.

Niemand weiß, ob Katar nicht zu alten Praktiken zurückkehrt

Nein, die FIFA hat nichts unternommen, um den von ihr ausgewählten Ausrichter zu einer zivilisierten, humaneren Politik zu veranlassen. Es war der Druck nationaler Fußballverbände wie einiger westlicher Regierungen, die Katar zu einigen Verbesserung veranlassten. Nicht aus Einsicht, sondern um die Negativ-Werbung um diese WM etwas zu entschärfen.

Wobei niemand weiß, ob das Land nach dem letzten Ballwechsel nicht wieder vollständig zu den alten Praktiken zurückkehrt. Wer nicht einmal den Bierausschank in dem Umfang zulässt, wie das mit der FIFA vertraglich vereinbart worden ist, auf dessen „Reformeifer“ sollte man besser nicht setzen.

Der FIFA-Präsident schätzt das Emirat so sehr, dass er dort inzwischen mit seiner Familie lebt, ganz gewiss im selben extravaganten Wohlstand wie die herrschende Klasse. Nur so ist der Zynismus zu erklären, mit dem er sich zum Opfer von Diskriminierung erklärt und sich quasi auf eine Stufe mit den rechtlosen Migranten stellt, die dort teilweise wie Sklaven gehalten werden.

Wie groß müssen Infantinos Privilegien sein, um beim Schönfärben Katars so tief zu sinken?

Ja, wenn ein Kind in der Schule wegen seines Aussehens gemobbt wird, tut das sehr weh. Denn schon Kinder können sehr grausam sein. Aber dies mit dem Leid und den Leiden physisch, psychisch und teilweise auch sexuell ausgebeuteter Arbeitssklaven und Arbeitssklavinnen gleichzusetzen, verschlägt einem die Sprache. Wie groß müssen Infantinos Privilegien sein, um beim Schönfärben Katars so tief zu sinken?

Der FIFA-Chef hatte seine Weißwäscherei Katars mit folgenden Worten eröffnet: „Heute fühle ich sehr starke Gefühle, heute fühle ich mich als Katarer, heute fühle ich mich als Araber, heute fühle ich mich afrikanisch. Heute fühle ich mich homosexuell. Heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Arbeitsmigrant.“ Was für eine peinliche Schwurbelei!

Dieser oberste Repräsentant des Weltfußballs diskreditiert mit seiner PR-Show für Katar nicht nur sich selbst, sondern den ganzen Verband. Im März nächsten Jahres will er für eine weitere Amtszeit gewählt werden. Bisher schien der Deutsche Fußball-Bund davon nicht begeistert, zeigte sich aber nicht kämpferisch genug, um einen seriösen Gegenkandidaten zu unterstützen. Wann, wenn nicht jetzt, müsste der DFB sich klar gegen einen FIFA-Präsidenten positionieren, der schlichtweg untragbar ist?

Wie immer Infantinos Zukunft aussehen mag: Man möchte ihm jedenfalls nicht wünschen, wie ein Homosexuller in Katar leben zu müssen.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 19. November 2022)


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