28.07.2022

Gaskrise: Sparappelle sind gut – Preisdruck ist besser

Alle reden vom Sparen – mit Ausnahme des Bundeskanzlers. „Nö“ antwortete Olaf Scholz (SPD), als er kürzlich gefragt wurde, ob er auch Spartipps habe wie sein Wirtschaftsminister Robert Habeck. Der Grüne empfiehlt unter anderem kürzeres Duschen und praktiziert es nach eigenen Angaben bereits. Ungeachtet des schnoddrigen Neins des Kanzlers geizen seine Kabinettskollegen nicht mit Vorschlägen zum Energiesparen. Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) empfiehlt den Autofahrern, das Tempo zu drosseln. Seine Parteifreundin, Staatsministerin Claudia Roth, ist mit der Kulturbranche im Gespräch, wie Museen und Theater mit weniger Strom und Gas zurechtkommen können.

Viele Medien klären ihre Leser, Zuschauer und Zuhörer auf, was man tun kann, um die eigene Gasrechnung nicht allzu stark ansteigen zu lassen. Die Verbraucherschützer sind ebenfalls aktiv. Ihre Ratschläge: nicht in jedem Zimmer Licht brennen lassen, den Stand-by-Modus ausschalten, Kühl- und Gefrierschränke nicht kälter als nötig einstellen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geht selbst mit gutem Beispiel voran: Sein Berliner Amtssitz Schloss Bellevue wird nachts in der Regel nicht mehr angestrahlt.

Ermahnungen: gut gemeint und hilflos

Alle diese Ermahnungen und Appelle sind gut gemeint und durchaus angebracht. Doch wirken sie irgendwie hilflos. Am Energieverbrauch wirklich sparen werden die meisten erst dann, wenn sie es am eigenen Geldbeutel spüren. Unternehmen, die ihre Rechnungen monatlich bezahlen, tun bereits vieles, um den eigenen Energieverbrauch zu drosseln. Die privaten Verbraucher werden die Verdreifachung des Gaspreises erst merken, wenn ihre Energieversorger die vierteljährlichen oder monatlichen Abschlagszahlungen anpassen. Denn es droht die Gefahr, dass das Wirtschaftsministerium den Gasversorgern von September an erlaubt, ihre deutlich gestiegenen Einstandskosten auf die Verbraucher abzuwälzen – unabhängig von bisher vereinbarten Festpreisen.

Aufrufe zum Verzicht sind sicherlich nicht falsch. Viele Bürger verstehen durchaus, dass der von Putin erklärte „Gaskrieg“ nicht nur ihre Haushaltskasse belastet. Sie sehen auch, was es für das ganze Land bedeuten könnte, wenn im Winter manche Unternehmen ihre Produktion drosseln oder gar einstellen müssten. Einsicht und Vorsicht vieler reichen indes nicht aus, ein 82 Millionen-Volk zum Energiesparen zu bewegen. Der hohe Anteil von Impf- und Maskenverweigerern in der Corona-Pandemie müsste den Politikern klar gemacht haben, dass kollektive Vernunft mit guten Worten allein nicht zu erreichen ist.

Verzichtappelle müssen mit Hinweis auf drohende Mehrkosten verbunden werden Vor diesem Hintergrund sind die Zusagen der Politik, die durch steigende Energiekosten verursachten Zusatzbelastungen für die privaten Haushalte in engen Grenzen zu halten, eher kontraproduktiv. Wer nicht mit erheblichen Mehrbelastungen rechnen muss, wird kaum mit Blick auf das Ganze seine Heizkosten deutlich verringern. Die Bezieher von Grundsicherung (Hartz IV) können dem Winter in Bezug auf die Heizkosten, sofern sie mit Gas heizen, ohnehin entspannt entgegensehen. Das Sozialgesetzbuch regelt, dass „Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt (werden), soweit diese angemessen sind.”

Politiker, die nicht allein auf „das Gute im Menschen“ setzen, sollten deshalb ihre Verzichtappelle mit dem Hinweis auf drohende Mehrkosten verbinden. So wäre es sinnvoll, wenn der Staat den Haushalten die Grundversorgung mit Gas zu Preisen vor dem Ukraine-Krieg garantierte. 2021 kostete die Kilowattstunde noch 6,5 Cent; in neuen Verträgen werden dagegen bereits 20 Cent gefordert. Ebenso denkbar wäre, dass dieser subventionierte Preis nur für die Menge gezahlt wird, die 20 Prozent unter dem Verbrauch des letzten Jahres liegt. Die Heizung stets voll aufzudrehen, würde damit zu einem teuren Vergnügen. Da deutsche Wohnungen meist überheizt sind, müsste auch bei diesem Sparzwang kaum jemand frieren.

Putin führt gegen uns einen Gaskrieg. Das ist kein Grund, in Panik zu verfallen. Dass Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen in dieser Lage geholfen werden muss, versteht sich von selbst. Ein Preisdeckel für Gas, wie er von Politikern aus dem linksgrünen Lager gefordert wird, wäre jedoch der völlig falsche Weg.

Beim Energiesparen allein auf die Einsicht der Menschen und ihren guten Willen zu vertrauen, ist viel zu riskant. Der Preis soll und muss auch weiterhin ein wichtiges Instrument sein, um Bürgern wie Unternehmern klare Signale zum Sparen zu geben. Anders ausgedrückt: Sparappelle sind gut – Preisdruck ist besser.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 28. Juli 2022)


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