22.11.2021

Der neue Merz kann auch sentimental

Friedrich Merz zum Dritten. Der Favorit für das Amt des CDU-Vorsitzenden muss selbst einräumen, dass wohl noch niemand drei Mal hintereinander versucht hat, Parteichef zu werden. Als er am Montagabend beim Videochat mit rund 10.000 zugeschalteten Parteimitglieder gefragt wird, warum er sich das antue, wird der sonst so sachlich-schneidige CDU-Politiker ein wenig sentimental. „Die CDU ist Teil meines Lebens,“ bekennt er. Und er könne so schwer nein sagen, wenn er von so vielen Mitgliedern gebeten werde, es nochmals zu versuchen.

Faire Chance für die Ampel

Der Friedrich Merz, der den dritten Anlauf nimmt, ist ein anderer als 2018 oder 2020: weniger schroff, eher verbindlich. Das betrifft sogar die politischen Gegner. Als ein Parteifreund unterstellt, die Ampel werde sich schnell zerlegen, widerspricht er. Und nicht nur das. Merz gesteht SPD, Grünen und FDP sogar zu, sie hätten eine Chance verdient. Und setzt noch einen drauf: Die künftige Regierung werde es „vielleicht“ sogar besser machen als die noch amtierende Koalition. Der alte Merz hatte die Performance der GroKo und damit auch die Arbeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie der Kabinettsmitglieder von CDU/CSU noch als „grottenschlecht“ bezeichnet. Der neue Merz verzichtet auf Frontalopposition gegenüber den Wahlsiegern. Ob das seinen Hard-Core-Fans gefällt, darf bezweifelt werden.

Merz als Familienpolitiker

Im dritten Anlauf entpuppt sich der Wirtschaftsexperte überraschend auch als Familienpolitiker. Sein Mantra: Die Politik solle familienfreundlicher werden, damit auch junge Mütter und Väter leichter mitwirken können. Das sagen viele in der CDU, die bekanntlich viel zu wenig Frauen und zu wenige jüngere Männer in ihren Reihen hat. Aber in einem Punkt hat Merz jetzt ein Alleinstellungsmerkmal. Als Vorsitzender will er in der Parteizentrale „Konrad-Adenauer-Haus“ dafür sorgen, dass die CDU ein „familienfreundlicher Arbeitgeber“ ist. Von „Mutti Merkel“ war während ihrer 18-jährigen Partei-Regentschaft derlei nie zu hören.

In dem von der Bundes-CDU veranstalteten „CDU live“ – Norbert Röttgen und Helge Braun folgen am Mittwoch und Donnerstag – versicherte Merz, er bewerbe sich um das Amt des Parteivorsitzenden: „Nur darum geht es“. Ist das wirklich so? Liebäugelt Merz nicht etwa doch damit, im Fall seiner Wahl auch den Fraktionsvorsitz zu übernehmen? So ganz klar ist das jedenfalls nicht. Es gebe „im Augenblick keinen Grund, an der jetzigen Konstellation etwas zu ändern,“ hatte er am Wochenende in einem Interview geäußert. Darin unterscheidet er sich klar von seinen Mitbewerben Röttgen und Braun, die beide klargemacht haben, dass Ralph Brinkhaus Fraktionsvorsitzender ist und bleiben soll.

Die K-Frage bleibt offen

Auch beim Thema Kanzlerkandidatur ist Merz nicht so klar wie 2018 und 2020, wo er mit der V-Frage auch die K-Frage geklärt haben wollte. In der „Bild am Sonntag“ schloss er jedenfalls eine Kandidatur nicht aus. „Ein CDU-Vorsitzender muss grundsätzlich immer in der Lage sein, auch das Amt des Bundeskanzlers zu übernehmen.“ Das wiederum hat er mit seinen beiden Mitbewerbern gemein.

Der neue Merz vermeidet die Formulierung von der eigenen Partei als „insolvenzgefährdetem Sanierungsfall“. Dass sich die CDU jedoch in einem „kritischen Zustand“ befinde, verschwieg er den Mitgliedern in diesem Video-Format nicht. Alles andere wäre auch Schönfärberei. Und das würde beide gleichermaßen enttäuschen – die Fans des alten wie die des neuen Merz.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 22. November 2022)


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