19.04.2021

Wird aus dem Kanzlerwahlverein CDU ein Söder-Fanclub?

Alles schon mal da gewesen: 1975 versuchte Franz Josef Strauß mit aller Macht, die Kanzlerkandidatur von Helmut Kohl zu verhindern – und musste nachgeben. 1979 schaffte es Strauß nach einer Kampfabstimmung in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen den niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht. 2002 wollte der damalige CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber unbedingt die K-Frage zu seinen Gunsten zu entscheiden. Schließlich gab die CDU-Vorsitzende Angela Merkel nach. Doch so freiwillig, wie das im Nachhinein dargestellt wird, war ihr Verzicht nicht. Zuvor war bereits eine Reihe von CDU-Schwergewichten zu dem Bayern übergelaufen.

Manches am aktuellen Zweikampf zwischen dem CDU-Vorsitzenden Armin Laschet und dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder erinnert an diese früheren Auseinandersetzungen zwischen den sich nicht immer liebevoll zugetanen Schwesterparteien. Manches ist im Superwahljahr 2021 auch ganz anders.

Allerdings gibt es eine Konstante: Die Unionsparteien sind Machtmaschinen. Wahlen zu gewinnen und zu regieren, ist ihnen wichtiger als ideologische Spielereien oder die Exegese von Parteitagsbeschlüssen. Die Union hat verinnerlicht, was der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering vergeblich seinen Genossen beizubringen versuchte: „Opposition ist Mist“.

Wer auf Machtgewinn und Machterhalt programmiert ist, der schaut stärker auf Umfragen als Weltverbesserer, denen die programmatische Reinheit wichtiger ist als die Wahlchancen. Da war schon 2002 so, als Stoiber in den Umfragen deutlich besser abschnitt als Merkel. Das erklärt, warum derzeit so viele Wahlkämpfer in der CDU, vor allem aber in der Fraktion, auf den CSU-Mann setzen. Das eigene Mandat ist dem gemeinen Abgeordneten immer näher als irgendwelche Gremienbeschlüsse.

Geschichte wiederholt sich nicht, auch nicht bei der CDU/CSU. Das neue an dieser Lage ist der geradezu brutale Machtanspruch Söders. Stoiber hätte nicht gegen den Willen der CDU-Gremien nach der Kandidatur gegriffen; da war er zu sehr ein Mann, der Strukturen und Kompetenzen respektierte. Stober war ebenfalls bewusst, dass die CDU die ungleich größere der beiden Parteien ist. Söder hingegen hält es eher mit seinem Jungendidol Strauß: „Wenn die Gefahr am größten ist, kommt die Rettung aus den bayerischen Bergen.“

Söder ist es ziemlich gleichgültig, worauf sich Präsidium und Vorstand der CDU geeinigt haben. Auf die CSU braucht er ohnehin keine Rücksicht zu nehmen. Die CSU – das ist Söder. Er hat die Partei zu seinem persönlichen Fanclub umfunktioniert. Dasselbe hat er mit der CDU vor: Sie soll sich nicht der CSU, sie soll sich ihm persönlich unterordnen.

Söder nimmt für sich in Anspruch, nur er können die CDU vor dem Niedergang und das Land vor einer grünen Kanzlerin retten. Bei so hehren Zielen kann und will er gar keine Rücksicht nehmen, ob sich jemand vielleicht gar nicht retten lassen will. Oder ob manchem in der CDU der Preis der Rettung, nämlich die Unterwerfung, zu hoch sein könnte. Söder macht keine Gefangenen. Das hat er in seinem jahrelangen Kleinkrieg bewiesen, in dem er Horst Seehofer in die Resignation trieb und zum Rückzug aus der Staatskanzlei wie vom CSU-Vorsitz zwang. Da kam es auf die eine oder andere „Schmutzelei“ (Seehofer) auch nicht an. Das ist bei Söders Kampf gegen Laschet nicht anders.

Stoiber, ja selbst Strauß, hatten respektiert, dass Parteien von demokratisch legitimierten Gremien geführt werden. Söder setzt dagegen vor allem auf die Überzeugungskraft von Umfragen – vor allem bei Bundestagsabgeordneten und Bundestagskandidaten. Die Zahlen versprechen den Wahlkämpfern bei einem Kanzlerkandidaten Söder eine größere „Beute“ als bei Laschet. Deshalb hatten die Söder-Anhänger in der Fraktion das Thema schon in der vergangenen Woche auf die Tagesordnung gesetzt und damit dem CSU-Chef weiteren Auftrieb gegeben. Sollten sich Söder und Laschet nicht bis Dienstagvormittag einigen, wer zu wessen Gunsten verzichtet, dann dürfte es in der Fraktionssitzung zum Showdown kommen.

Nach Buchstaben und Geist der Parteistatuten gehört es nicht zu den Aufgaben einer Bundestagsfraktion – in diesem Fall einer Fraktionsgemeinschaft –, den Kanzlerkandidaten zu nominieren. Aber ein Machtmensch wie Söder denkt in anderen Kategorien: Das wichtigste Gremium ist das, das den eigenen Erfolg am ehesten garantiert. Das war bei seiner Abnutzungsschlacht gegen Seehofer die CSU-Landtagsfraktion, das soll in diesem Fall die Bundestagsfraktion sein. Denn dort könnte er mit einer Mehrheit rechnen.

Unabhängig von allen rechtlichen und satzungsmäßigen Fragen: Niemand könnte eine Mehrheit der 245 Unionsabgeordneten daran hindern, über eine Empfehlung zur Lösung der K-Frage abzustimmen. Sollte die Fraktion mehrheitlich den Gremien von CDU und CSU vorschlagen, Söder zu nominieren, könnte kein CDU-Vorsitzender sagen, ihn interessiere diese Empfehlung nicht. Dann bliebe Laschet nur der Rückzug. Ein ehrenvoller Verzicht wäre das dann nicht mehr; dafür ist es zu spät.

Der CDU wurde immer vorgeworfen, sie wäre keine richtige Partei, sondern nur ein Kanzlerwahlverein, ein Akklamationsapparat. Falls Söder es schafft, dass Abgeordnete, Ministerpräsidenten und andere Kräfte in der CDU an den Beschlüssen ihrer Spitzengremien vorbei ihm die Kanzlerkandidatur antragen, dann braucht die CDU nicht nur einen neuen Vorsitzenden, dann braucht die CDU ebenfalls einen neuen Namen. Da böte sich „Söder-Fanclub“ an.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 19. April 2021)


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