23.03.2021

Oster-Lockdown: Die Politik ist die Gefangene ihrer Fehler

Stellen wir uns eine Gruppe von Fußballexperten vor, die engagiert über Spielsystem und Taktik fachsimpeln, über Aufstellungen und Auswechslungen. Die aber zwischendurch vergessen, dass ihnen das Wichtigste fehlt: ein Ball, ein Platz und eine Mannschaft.

So ähnlich geht es in den rituellen Konferenzen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin zu: Wer nicht genügend Impfdosen hat, nicht genügend Testkapazitäten und obendrein das wenige, das er hat, nicht effektiv einzusetzen vermag, der kann im Kampf gegen Corona kein schlüssiges Konzept vorlegen. Der stolpert nur von Notlösung zu Notlösung.

Von Notlösung zu Notlösung

Die neueste Notlösung heißt: Verlängerung des Lockdowns bis zum 18. April. Die geltenden Beschränkungen werden verschärft durch eine „erweiterten Ruhezeit“ von Gründonnerstag bis Ostermontag mit geschlossenen Geschäften und weitgehenden Kontaktbeschränkungen. Lediglich Supermärkte dürfen am Karsamstag öffnen, Gottesdienste sollen abgesagt werden, Urlaub im eigenen Land fällt flach. Es wird also an Ostern nicht viel anders zugehen als vor einem Jahr. Mit einem Unterschied: Dieses Mal herrscht kein Mangel an Toilettenpapier, Mehl und Hefe.

Es drohte der politische Shutdown

Elf Stunden haben die Regierungschefs mit der Bundeskanzlerin getagt. Die einen wollten lockern, die anderen verschärfen. Zwischen 18 Uhr und ein Uhr nachts war die Sitzung unterbrochen, war nicht auszuschließen, dass die Konferenz im Streit abgebrochen oder vertagt wird. Eine Viererrunde mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sowie den Länderchefs Markus Söder (CSU) und Michael Müller (SPD) legte schließlich die Grundlage für ein einheitliches Vorgehen. Man kann auch sagen: Das Quartett hat den politischen Shutdown verhindert. Hätte jetzt jedes Bundesland gemacht, was es will, wäre das einer Bankrotterklärung der Politik gleichgekommen.

„Team Vorsicht“ sich durchgesetzt

Letztlich haben sich die Kanzlerin und der bayerische Ministerpräsident mit ihrem Kurs erhöhter Vorsicht durchgesetzt. Den tragen auch die nord- und ostdeutschen Regierungschefs mit, die den Menschen über Ostern ein wenig Urlaub in Ferienwohnungen und auf Campingplätzen gestatten wollten. Es gab, anders bei den unzähligen früheren Konferenzen, dieses Mal keine „Protokollerklärungen“, mit denen einzelne Länder bestimmte Maßnahmen für sich selbst ausschließen. Ein Zeichen dafür, wie ernst die Lage ist: Das Virus bereitet sich viel schneller aus, als wir mit dem Impfen nachkommen – gefährlich schnell.

Jede Verlängerung des Lockdowns, jede Verschärfung lässt sich leicht als einfallslos kritisieren. Auch werden die Menschen nicht verstehen, dass man im vollbesetzen Flugzeug nach Mallorca reisen und dort im Hotel übernachten darf, aber nicht im eigenen Auto in eine Ferienwohnung an der Nord- oder Ostsee. Es sind solche Widersprüche, die die Bürger an der Weisheit der Corona-Politik zweifeln lassen. Doch lässt sich die durch Mutationen beschleunigende Verbreitung des Virus samt der Folgen für das Gesundheitssystem nun einmal nicht leugnen.

Fragwürdiger Inzidenzwert

Man kann darüber streiten, ob der Inzidenzwert, also die Zahl der Infizierten je 100.000 Einwohner, unverändert das Maß aller Dinge sein kann. Denn mit der zunehmenden Häufigkeit von Testungen werden zwangsläufig mehr Infizierte registriert. Dabei zeigen einzelne Städte, allen voran Tübingen, dass es durchaus intelligente Wege gibt, die Geschäfte und Restaurants zu öffnen, ohne der Ausbreitung von Covid-19 Vorschub zu leisten. Nur reichen wohl die Testkapazitäten nicht aus, um in ganz Deutschland so klug vorzugehen wie in der schwäbischen Universitätsstadt.

Die Fehler des Sommers rächen sich

Die Ministerpräsidentenkonferenz macht den Bürgern kein Ostergeschenk; sie trübt vielmehr die Freude auf die Feiertage. Aber großzügige Lockerungen sind angesichts der Gefährdungslage nicht zu verantworten. Bundes- und Landesregierungen sind eben die Gefangenen ihrer eigenen Fehler: Was im Sommer und Herbst versäumt wurde, hat den Weg bereitet für die zweite und dritte Welle. Und für die Misere in der wir stecken – gesundheitspolitisch, bildungspolitisch, wirtschaftlich und stimmungsmäßig. Nicht zuletzt öffnet die Pandemie uns die Augen, dass wir Deutschen, wir angeblichen Organisationsweltmeister, auf der staatlichen Ebene nur Mittelmaß sind.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 23. März 2021)


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