02.02.2021

Impf-Gipfel: Schön, dass wir darüber gesprochen haben

Gipfeltreffen – das klingt nach großer Besetzung, großen Beschlüssen, großer Oper. Der Impf-Gipfel, zu dem die Kanzlerin, die Ministerpräsidenten der Länder, mehrere Bundesminister, Vertreter der Impfstoffhersteller sowie der EU-Kommission überwiegend virtuell zusammenkamen, hatte außer dem pompösen Namen nicht viel zu bieten. Das war kein Gipfel, sondern eher ein Talsohle-Treffen.

Der Mangel an Impfstoff ist nicht das einzige Problem

Es lässt sich nicht beschönigen, dass Deutschland mit seiner Impfkampagne gegen Covid-19 mehr schlecht als recht vorankommt, schlechter als andere Länder. Und: Dass sich viel verbessern muss. Um das zu erkennen, hätten sich die Beteiligten die Mühen der Zusammenkunft sparen können. Das weiß jeder, der sich in den vergangenen fünf Wochen schon um einen Impftermin bemüht hat – für sich selbst oder für Angehörige. Auch konnten die Impfstoffproduzenten keine verbindlichen Zusagen über die genauen Zeitpunkte ihrer Lieferungen machen.

Wobei der Mangel an Impfstoff nicht das einzige Problem ist. Ausgerechnet die Deutschen, weltweit als Weltmeister im Organisieren bewundert, sind nicht in der Lage, die Vergabe von Impfterminen so zu organisieren, dass Menschen nicht tagelang in den Warteschleifen von Hotlines festhängen. Auch ist es nicht gelungen, die Menschen in Alten- und Pflegeheimen umfassend vor Infektionen zu schützen. Kein Wunder, dass das Vertrauen der Menschen in das Krisenmanagement der Regierenden in letzter Zeit gesunken ist.

Spahns Impf-Rechnung hilft den Hochbetagten nicht

Rechtzeitig zum Impf-Gipfel hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jetzt angekündigt, bis Ende des Jahres 323,5 Millionen Impfdosen zur Verfügung zu haben. Rechnerisch könnte man jeden Deutschen mit dieser Menge bis zum Jahresende sogar zwei Mail impfen, wenn man berücksichtigt, dass das Vakzin erst nach zweimaliger Verabreichung seine volle Wirkung entfaltet. Doch solche Zahlenspielereien helfen nicht den Hochbetagten und Menschen mit Vorerkrankungen, die möglichst schnell gegen das tödliche Virus immunisiert werden wollen und müssen. Denn im ersten Quartal können wohl erst 18 Millionen Dosen injiziert werden; das reicht für 9 Millionen Menschen.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Kein „Gipfeltreffen“ kann uns auf die Schnelle den Weg aus dem Impf-Tal weisen, in das uns die Europäische Union mit ihren zu zögerlichen Bestellungen, ihrer Feilscherei um möglichst niedrige Preise und den eher liederlich ausgehandelten Verträgen geführt hat. Diese zeitlichen Verzögerungen lassen sich nicht mehr ausbügeln. Umso wichtiger ist, dass Bund und Länder endlich sicherstellen, vorhandenen Impfstoff sowie die zu erwartenden Lieferungen schnell und effektiv einzusetzen.  

Ein Gutes hat der "Gipfel" immerhin

Diese Konferenz hat keinen Durchbruch gebracht in dem Sinne, dass sich der Mangel an Impfstoff über Nacht beheben ließe. Das war auch nicht zu erwarten. Zusicherungen von Biontech, Produktion und Auslieferung zu steigern, oder die Zusammenarbeit von CureVac und Bayer können uns beim Schutz vor dem Virus weiterbringen – aber nicht von heute auf morgen.

Ein Gutes hatte der Impf-Gipfel immerhin: Gedankenspiele, der Staat solle die Impfstoffproduktion an sich ziehen, also verstaatlichen, sind offenbar nicht ernsthaft besprochen worden. Wobei man sich schon verwundert die Augen reibt, wenn ausgerechnet der bayerische Ministerpräsident und potentielle Kanzlerkandidat der Union, Markus Söder (CSU), über klare staatliche Vorgaben zur Impfstoffproduktion sinniert. Dieselben Bürokraten, die bereits an der effektiven Vergabe von Impfterminen scheitern, sollen künftig die Vakzin-Produktion steuern? Was für ein Horror-Szenario!

Von einem Gipfel hat man normalerweise eine schöne Aussicht. Die Gesprächspartner aus Politik und Wirtschaft schauten an diesem trüben Montag eher hinab in ein Tal der Tränen. Patentrezepte waren nicht zu erwarten und wurden auch nicht präsentiert. Falls es ein Kommuniqué gegeben hätte, wäre das die passende Überschrift gewesen: „Wie schön, dass wir miteinander gesprochen haben.“

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 1. Februar 2021)


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