10.09.2019

Als Kohl im Liebesnest das Silberbesteck aufs Porzellan krachen ließ

Wer darüber schreibt, was bereits Verstorbene gesagt oder getan haben, hat einen Vorteil: Der Betreffende kann nicht mehr widersprechen. Die Kehrseite: Er kann auch nicht mehr sagen: Ja, so war es.

In dieser Situation befindet sich Beatrice Herbold, die jetzt ein Buch über ihre Zeit an der Seite Kohls veröffentlicht hat: „Geliebte Freundin. Meine geheimen Jahre mit Helmut Kohl.“ Da geht es um Herz und Schmerz und um viele Abende, an denen Kohl auf dem Weg von oder nach Oggersheim bei der Dame im Taunus Station gemacht haben soll. Zehn Jahre lang soll die Beziehung gedauert haben. Als sie nach Darstellung der Geliebten im Jahr 2000 endete, hatte wohl Kohls nächstes außereheliches Abenteuer mit Maike Richter bereits begonnen. Dass Herbold der späteren Frau Kohl-Richter keine Zeile widmet, spricht eher dafür als dagegen. Wer gibt schon gerne zu, dass er im Kampf um einen Mann oder eine Frau unterlegen ist?

Schlüsselloch-Gucker kommen in dem Buch durchaus auf ihre Kosten; Romantiker auch. Herbold berichtet, dass Kohl ihr bereits nach dem Liebes-Aus zu Weihnachten 2000 sein neuestes Werk „Mein Tagebuch“ geschickt habe. Dazu die „geliebte Freundin“: „Auf dem schwarzen Cover seine Hände, die mich so oft berührt hatten.“ Wem es da nicht warm ums Herz wird, hat wohl keines.

Wie auch immer: Die Geliebte streut auch Politisches ein zwischen den Schilderungen vom Kennenlernen in der Sauna, leidenschaftlichen Küssen im Aufzug, heimlichen Treffen und den Unmengen an Kohlrouladen und Schokoladenkuchen, die der Geliebte stets zu verzehren pflegte. Herbold gibt vor, die ominösen „anonymen“ Spender zu kennen, und will auch wissen, dass Kohl bei der Bundestagswahl 1998 nicht noch einmal angetreten und folglich nicht abgewählt worden wäre, hätte er nicht schon 1997 gewusst, dass der von ihm „als Nachfolger aufgebaute“ Wolfgang Schäuble „viel Geld genommen“ habe. Das sollte wohl heißen: Ein Kanzlerkandidat Schäuble hätte mit so einer Affäre keine Chance.

Angeblich soll Kohl im Herbst 1997 der Dame versichert haben, er werde sein Amt aufgeben und sein Leben „komplett ändern“, womit die heimliche Geliebte die Hoffnung auf mehr gemeinsame Zeit mit dem künftigen Polit-Pensionär verband. Doch es kam ganz anders: Der ewige Kanzler stürzte sich in seinen sechsten Bundestagswahlkampf. Der endete bekanntlich mit einer deutlichen Niederlage Kohls und der CDU/CSU gegen seinen Herausforderer Gerhard Schröder von der SPD.

Beatrice Herbold will den Kanzler Anfang 1998 zur Rede gestellt haben, warum er entgegen seiner ursprünglichen Absicht das Amt nicht an den damaligen Bundesinnenminister Schäuble übergeben habe. Das habe Kohl ihr gegenüber mit Schäubles Verstrickung in eine Spendenaffäre begründet, die allerdings erst an der Jahreswende 1999/2000 bekannt werden sollte. Herbold schildert den Dialog so: „Wolfgang Schäuble hat viel Geld genommen von einem Dreckskerl.“

Ich schaute Kohl still an, suchte seinen Blick. Ich schwieg, um das Geständnis nicht zu unterbrechen.

„100.000 Mark, mindestens“. Von wem?

„Der Kerl heißt Schreiber, ein Lump. Der Name sagt dir wahrscheinlich nichts. Ein Waffenhändler.“ (…)

Weißt du das sicher“, fragte ich Kohl.

„Ja, ganz sicher. Ich weiß es. Woher ist egal. Und jetzt beenden wir das Thema.“

Kohl kam nach Darstellung Herbolds im Wahljahr 1998 seltener zu ihr in den Taunus, redete aber „immer wieder über Wolfgang Schäuble.“ Herbold schreibt: „Nie mehr sprach er über Geld, aber sagte oft, wie enttäuscht er sei, dass er sich von Schäuble hintergangen fühlte. Manchmal, im größten Zorn, nannte er seinen Vertrauten ‚einen Dreckskerl‘ und unterstellte ihm ‚einen schlechten Charakter‘. Ihm persönlich kreidete er an, dass er seinen Plan, auf eine erneute Kandidatur zu verzichten, widerrufen musste. ‚Es ist ein Dilemma‘, sagte Helmut. ‚Jahrelang habe ich ihn als Nachfolger aufgebaut, und nun das. Ich habe keinen anderen, dem ich das Amt anvertrauen kann‘.“ Als Herbold Kohl fragte, was denn mit Merkel sei, habe der geantwortet: „Hör auf mit dem Unsinn! Es gibt niemanden, der das kann!“

Die zerbrochene Freundschaft zwischen Kohl und Schäuble ist nicht Herbolds einziger Ausflug ins Politische. Sie enthüllt auch die viel zitierten “anonymen Spender“, deren Namen Kohl nie genannt hat, die es aber nach einer für Schäuble typischen nebulösen Andeutung vielleicht gar nie gegeben hat. Frau Herbold jedenfalls gibt vor, sie zu kennen. Demnach haben der Medienmogul Leo Kirch, Tengelmann-Chef Erivan Haub und der Schweizer Swatch-Gründer Nicolas Hayek Kohls schwarze Kassen gefüllt.

Das muss, behauptet jedenfalls Herbold, erschüttert haben. „Ich sprach noch, da fiel Kohl das schwere Messer aus der Hand. Das Silber krachte auf den Porzellanteller. Es schepperte gewaltig, was Kohl kaum wahrnahm. Der schaute mich erschrocken an, presste die Lippen aufeinander; die Augen verengten sich zu Schlitzen – eine ungewohnte Mimik. Ich hatte diesen Gesichtsausdruck bei ihm noch nie bemerkt.“ Doch Kohl blieb nicht lange stumm. „Es gibt keine Beweise. Niemand wird je Beweise finden. Deshalb wird auch niemand die Spender herausfinden.“ Bei Letzterem hat die „geliebte Freundin“ sicher Recht. Alle drei Herren sind tot, können also weder bestätigen noch dementieren, ob sie jene Spender waren, die es laut Schäuble wahrscheinlich gar nicht gegeben hat.

Nein, die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland muss nach diesen Enthüllungen nicht neu geschrieben werden. Die wahren Gründe für seine abermalige Kanzlerkandidatur 1998 kennt nur Helmut Kohl, und die Namen der von Herbold enthüllten Spender sind schon häufiger genannt worden, ohne dies je belegen zu können. Aber offenbar war die „Geliebte Freundin“ der Ansicht, ihrer Liebesgeschichte könnte Politik als Beimischung etwas mehr Seriosität verleihen. Aber wie seriös ist jemand, der eine angebliche intime Beziehung mit dem vor mehr als zwei Jahren verstorbenen Altkanzler unbedingt – zwischen zwei Buchdeckeln – zu Geld machen will?

Veröffentlicht auf www.cicero.de am 9. September 2019.


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