07.12.2018

Kramp-Karrenbauers Wahl bedeutet „Keine Experimente“

In den 18 Jahren an der Spitze der CDU hat Angela Merkel die Partei nach ihrem Bild und Ebenbild geformt. Natürlich sind viele Mitglieder und Mandatsträger alarmiert über schlechte Umfragezahlen und eine Reihe schlimmer Wahlniederlagen. Doch die Merkel-CDU neigt ebenso wie ihre Ex-Chefin nicht zum Risiko. Mit der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer bleibt die CDU sich treu: „Keine Experimente“.

Friedrich Merz bot auf dem Parteitag allerdings kein scharfes Kontrastprogramm, schon gar kein detailliertes. Bei ihm dominierte vielfach der Blick zurück und die Kritik an unübersehbaren Fehlentwicklungen. Er, der nach der Papierform beste Redner unter den drei Bewerbern, trat mit angezogener Bremse an. Er wollte nicht polarisieren und schon gar nicht provozieren. So gewann AKK das Rednerduell: Weil sie besser war, als erwartet, und er schlechter, als von seinen Anhängern erhofft.

Die Entscheidung von Hamburg zeigt: Die CDU hat wirtschaftspolitisch keinen Ehrgeiz mehr. Was die junge Merkel mit den Leipziger Reformbeschlüssen von 2003 eingeleitet und nach der Bundestagswahl 2005 im großkoalitionären Regierungsalltag irgendwie vergessen hatte, füllt inzwischen die Ablagen und Archive, liegt aber nicht auf Wiedervorlage. Ordnungspolitik wird in der CDU weder groß noch klein geschrieben; sie ist kein Thema mehr. Im Übrigen hoffen die Beteiligten darauf, das Wachstum der letzten Jahre werde irgendwie anhalten, auch wenn der Staat nur wenig für entsprechende Rahmenbedingungen tut.

Die CDU hat sich nach 18 Jahren unter weiblicher Führung abermals für eine Frau als Nummer eins entschieden. Das sieht moderner aus, als es ist. Frauen in Führungspositionen sind ja wirklich nicht mehr sensationell neu. In gewisser Weise vollzieht die CDU mit der Entscheidung zugunsten von AKK sogar ein „roll back“. Kramp-Karrenbauer steht in der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik für die alte rheinische CDU. Mit ihr als Vorsitzender haben die CDU-Sozialausschüsse mehr Einfluss als jemals seit den 1990er-Jahren, als Helmut Kohl seinen Sozialminister Norbert Blüm gewähren ließ, bis die Sozialkassen fast leer waren.

Nicht wenigen Delegierte dürfte bei allem Unmut über Merkel nicht behagt haben, dass ein Parteivorsitzender Merz mit einer Kanzlerin Merkel nur schwerlich harmoniert hätte. Das hätte zu einem Bruch der Großen Koalition und Neuwahlen führen können. Bei dem Führungsduo Merkel/AKK ist dieses nicht zu befürchten. Kramp-Karrenbauer wird in neuer Funktion das anstreben, was sie bis vor ein paar Wochen noch als Generalsekretärin vorhatte: die Vorbereitung auf die Kanzlerkandidatur 2021.

In der CDU werden viele aufatmen. Mit Kramp-Karrenbauer kann die CDU auf mehr Wohlwollen in den Medien, vor allem in den öffentlich-rechtlichen, hoffen, als bei einem Vorsitzenden Merz. Das heißt aber im Umkehrschluss: So schnell wird niemand mehr in der CDU nach einem hohen Amt greifen, der außerhalb der Politik erfolgreich war und für den etwa ein Regierungsamt ein finanzieller Abstieg bedeutete. „Kapitalisten“ a la Merz liefern den Medien eine Steilvorlage für Neidkampagnen; die kommen in der Bevölkerung gut an und fallen längt auch in der CDU, der einstigen Partei Ludwig Erhards, auf fruchtbaren Boden.

Der Dreikampf um die Merkel-Nachfolge ist der CDU gut bekommen. Der Wahlkampf hat die Partei mobilisiert. Zudem hat die CDU der SPD gezeigt, wie innerparteiliche Demokratie funktioniert. Andrea Nahles war jedenfalls nicht bereit, vor ihrer Wahl zur SPD-Vorsitzenden ihrer Gegenkandidatin eine Chance zur direkten Auseinandersetzung zu bieten. Der „Kanzlerwahlverein“ CDU hat sich jetzt als lebendige Partei entpuppt.

Die Position der CDU innerhalb des Parteienspektrums hat sich durch diese Entscheidung freilich nicht verändert. Das Außenbild der Partei wird auch nach Hamburg in erster Linie von der CDU-Kanzlerin bestimmt, nicht von einer Parteivorsitzenden ohne Mandat und ohne Rederecht im Bundesrat. Dieses Handikap hätte auch ein Vorsitzender Merz gehabt. Aber bei Merz wäre eher zu vermuten gewesen, dass er auf eine klare Abgrenzung zwischen Parteiposition und Koalitionspolitik gedrängt hätte. Bei AKK, die ohnehin in vielen Fragen mit Merkel übereinstimmt, erscheint das eher fraglich.

Die CDU hat sich entschieden - für ein „weiter so“ unter einer Doppelspitze aus einer bewährten Kanzlerin und einer neuen Vorsitzenden. Der Merkelsche Versuch, die CDU- Positionen so abzuschleifen, dass sie in jedem Fall zum „mainstream“ passen, hat rechts der Mitte Platz gemacht für die AfD und die Grünen als scheinbar bürgerliche Partei gestärkt. Bei Merkel hatte man zuletzt den Eindruck, ob die CDU auf 32 Prozent oder 27 Prozent kommt, sei gleichgültig: Hauptsache stärkste Partei. Kramp-Karrenbauer muss zeigen, dass sie eine andere Strategie verfolgt. Das kann aber nur in klarer Abgrenzung zur Regierung Merkel gelingen - oder gar nicht.

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de am 7. Dezember 2018.


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