28.10.2018

Die Hessen strafen Merkel und Nahles ab – und zwar kräftig

Es war die zu erwarten: Die Wähler in Hessen haben den GroKo-Parteien gesagt, was sie von ihnen halten – nämlich nicht mehr allzu viel. Der Ärger über die Bundespolitik hat – wie schon in Bayern – die landespolitischen Themen überlagert. Den Hessen geht es wirtschaftlich zwar sehr gut. Aber sie fühlen sich von Berlin schlecht regiert. Der ständige Streit in der Regierung – nicht nur über die Flüchtlingspolitik – stößt die Wähler ab. Die Themen Mieten und Diesel haben zudem in den letzten Wochen die öffentliche Diskussion dominiert. In Frankfurt und Darmstadt drohen Diesel-Fahrverbote. Die Bundesregierung kann jedoch immer noch keine Lösung präsentieren, die nicht den Diesel-Fahrer schadet, sondern die Schuldigen zur Kasse bittet, nämlich die Automobilkonzerne.

Folglich wurden die beiden einst großen Volksparteien deutlich abgestraft. Die CDU fällt auf 27 Prozent und erzielt damit das schlechteste Ergebnis seit 1966 (26,4 Prozent), als sie gegen die damals übermächtige SPD keine Chance hatte. Die SPD trifft es noch härter. Sie verliert ein Drittel ihrer Wähler, und liegt sogar noch knapp 100 Stimmen hinter den Grünen. Der Niedergang der Großen von einst ist mit Händen zu greifen: CDU und SPD kommen zusammen auf etwa 47 Prozent gegenüber 69 Prozent vor fünf Jahren.

Gegen die CDU kann praktisch nicht regiert werden. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kann Schwarz-Grün seine Mehrheit knapp verteidigen. Stabiler wäre jedoch ein Jamaika-Bündnis unter Einschluss der FDP. Rechnerisch möglich, aber unwahrscheinlich ist eine „Ampel“ aus Grüne, SPD und FDP. Unter einem Ministerpräsidenten Al-Wazir zu regieren, das haben die Freien Demokraten schon vor der Wahl kategorisch ausgeschlossen. Die hessische CDU steht da wie die bayerische CSU: Sie hat Stimmen eingebüßt, kann aber die Staatskanzlei wohl verteidigen. Interessant dabei, dass die weitgehende Übereinstimmung Bouffiers mit Angela Merkel ihn ebenso wenig vor deutlichen Einbußen bewahrt hat wie der Konfliktkurs der Bayern gegenüber der Kanzlerin. Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass die CDU links der Mitte nicht so viel gewinnen kann wie sie rechts davon verliert.

Für die Sozialdemokraten ist das Ergebnis eine Katastrophe. Sie stürzt auf 19,8 Prozent ab und landet mit knapp 100 Stimmen weniger noch hinter den Grünen (ebenfalls 19,8) auf Platz drei. Das Ergebnis liegt noch unter den katastrophalen 23,7 Prozent, die Thorsten Schäfer-Gümbel 2009 im Gefolge des Ypsilanti-Desasters bei seinem ersten Anlauf auf die Staatskanzlei erzielt hatte. Jetzt, beim dritten Mal, erzielt er ein bescheidenes Schulz-Ergebnis. Was für die Sozialdemokraten aber viel schlimmer ist: Auch in Hessen scheinen immer weniger Wähler noch von der Notwendigkeit einer starken Sozialdemokratie überzeugt zu sein.

Angela Merkel kann etwas aufatmen. Die Verteidigung der hessischen Staatskanzlei dürfte den Zorn mancher ihrer innerparteilichen Kritiker dämpfen und manchen Gegner etwas entmutigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in sechs Wochen beim CDU-Bundesparteitag zu einem Aufstand kommt, ist damit deutlich gesunken. Aber die Diskussion darüber, dass Merkel mit der „Modernisierung“ der Partei und vor allem mit der „Willkommenspolitik“ den Boden für die neue Konkurrenz am rechten Rand bereitet hat, wird nicht verstummen. Und die Rufe nach einem Wechsel im Kanzleramt werden es auch nicht.

Für Andrea Nahles sieht die Welt noch trauriger aus. Unter ihrer Führung, oder was sie so nennt, taumelt die SPD von einer Niederlage zur nächsten. Das Wehklagen, die sozialdemokratischen Großtaten in Berlin würden wegen des streitlustigen Herrn Seehofer von den Bürgern nicht wahrgenommen und gewürdigt, ist irgendwie lächerlich. Der SPD-Wähler, der nur wegen Seehofers Dauerfehde mit Merkel zu den Grünen oder gar der AfD abwandert, muss wohl erst noch gefunden werden. Der Druck auf Nahles, die GroKo zu verlassen, wird zunehmen. Aber die SPD wird es jetzt noch nicht wagen. Die Aussicht auf Neuwahlen schreckt nämlich nur solche Groko-Gegner nicht, die – wie Kevin Kühnert – kein Mandat zu verlieren, höchstens eines zu gewinnen haben. Ansonsten möchte im Bundestag bleiben, wer im Bundestag ist.

Die hessischen Grünen sind der große Sieger. Fast 20 Prozent, noch ein paar Stimmen mehr als die SPD und fünf Direktmandate: Davon hätten die Grünen noch vor einem Jahr nicht zu träumen gewagt. Sie leben jedoch gut davon, dass sozialdemokratische Wähler ebenso zu ihnen abwandern wie bürgerliche, die der Dauerstreit in der GroKo ebenso abstößt wie der permanente Krach zwischen CSU und CDU. Wer da Wut ablassen will, für den sind die Grünen eine naheliegende Alternative. Klima und Diesel waren ebenfalls Wasser auf ihre Mühlen. Die Grünen haben in Hessen pragmatisch mitregiert und es sogar geschafft, dass alle Kritik an zu hohen Mieten und zu wenigen Sozialwohnungen bei der CDU abgeladen wurde – und nicht bei der dafür zuständigen grünen Ministerin. Das muss man erst mal fertig bringen. Im neuen schwarz-grünen Kabinett werden sie mit breiter Brust Platz nehmen – als Vorbereitung auf „Jamaika“ in Berlin.

Auch das sehr gute Abschneiden der Grünen hat in erster Linie bundespolitische Ursachen. An der Landespolitik kann es nicht in erster Linie gelegen haben. Denn dass ein Koalitionspartner so stark verliert und der andere Partner so kräftig zulegt, entbehrt jeder landespolitischen Logik. Hätte die Okö-Partei vor der SPD gelegen, wäre die Versuchung für diese als Inbegriff der Bürgerlichkeit hochgejubelten Grünen doch sehr groß gewesen, mit Tarek Al-Wazir in einer grün-rot-roten Regierung den Ministerpräsidenten zu stellen. Den Preis, dafür die Hardcore-Sozialisten und DDR-Nostalgiker mit ins Boot zu nehmen, hätten sie sicherlich gerne entrichtet. Aber der Wähler hat die Grünen vor dieser Versuchung bewahrt.

Die AfD hat in bewährter Manier die Wutbürger eingesammelt. Aber ihre 13 Prozent sind nicht gerade berauschend, zumal hier – anders als in Bayern – die Freien Wähler nicht als weitere Partei rechts von der CDU unzufriedenen Unions-Wähler eine Alternative ohne braune Flecken anboten. Gleichwohl: Die AfD ist jetzt in 16 Landtagen vertreten (und damit in mehr als Grüne, FDP und Linke) und die größte Oppositionspartei im Bundestag. Hier rächt sich die Haltung der Merkel-CDU, die geglaubt hatte, die Konkurrenz von rechts müsse man nicht ernst nehmen. Typisch für diese Überheblichkeit war 2014 der Satz von Merkels damaligem Generalsekretär Peter Tauber, die AfD werde noch in ein, zwei Landtage einziehen und dann „verschwinden wie die Piraten.“

Die FDP leidet darunter, dass sie in Berlin nicht regieren wollte. In Bayern haben es die Freien Demokraten nur ganz knapp zurück in den Landtag geschafft, in Hessen ging es glatter. Aber enttäuschte CDU-Wähler konnten sie nur bedingt von sich überzeugen; viele von ihnen gingen lieber zu den Grünen. Der FDP hängt eben der Jamaika-Ausstieg in Berlin an. Und in Hessen haben sie zu lange den Eindruck erweckt, ihr oberstes Ziel sei die Ablösung Bouffiers durch Schäfer-Gümbel. Dennoch: Jamaika liegt ganz nah.

Linke-Träumen geplatzt. Die Schwäche der SPD hat der Linkspartei sicherlich Wähler zugeführt. Aber so richtig will es der einstigen PDS/SED im Westen der Republik nicht gelingen, nicht nur am ganz linken Rand, sondern auch aus der linken Mitte Stimmen zu gewinnen. Wer es „denen da oben“ so richtig zeigen will, der wählt gleich die AfD. Die Hoffnung, als Mehrheitsbeschaffer für Rot-Rot-Grün gebraucht zu werden, war schon nach der ersten Hochrechnung zerstoben. Von einem Linksruck kann auch in Hessen nicht die Rede sein: SPD + Grüne + Linke sind zusammen in etwas so stark wie 2013. Kein „Aufstehen“ nirgendwo.

Die GroKo schleppt sich schwer angeschlagen in die nächste Runde. CDU und SPD wirken in Berlin wie zwei schwer angeschlagene Boxer, abgekämpft und völlig erschöpft. Sie klammern sich aneinander. Nur so können sie verhindern, dass sie umfallen.

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de am 28. Oktober 2018; aktualisiert am 29. Oktober 2018.


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