03.07.2018

Merkel und Seehofer: Ziemlich beste Feinde

Angela Merkel und Horst Seehofer erinnern an zwei Boxer, die sich – vom pausenlosen Schlagabtausch schwer gezeichnet – kaum noch auf den Beinen halten können. Sie stehen nur noch deshalb, weil sie sich aneinander klammern und somit gegenseitig stützen. Bis einer die Kraft zum nächsten Schlag aufbringt.

Nach wochenlangem Hin- und Her haben sich die sogenannten Schwesterparteien auf einen Asylkompromiss geeinigt – wieder einmal. Wie weit der dieses Mal trägt, muss sich erst noch zeigen. Zunächst einmal braucht die Union die Zustimmung des  Koalitionspartners SPD (ja, den gibt es auch noch).Zudem  müssen andere europäische Länder mitmachen, in erster Linie Italien, Griechenland und Österreich.

Bei den Sozialdemokraten macht der linke Flügel inzwischen mobil gegen die geplanten Transitzentren. In ihnen sollen bereits in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge festgehalten und in die Länder zurückgeschickt werden, in denen sie bereits Asyl beantragt haben. Linke und Grüne sprechen in demagogischer Verzerrung von „Internierungslagern“, obwohl dieses Verfahren jenem in den Transitzonen der Flughäfen ähnlich ist. Gut möglich also, dass die SPD-Spitze hier auf Änderungen drängt. Dann aber könnte Innenminister Seehofer von der Kanzlerin verlangen, dass sie hart bleibt – und der nächste Krach im nicht immer ehrenwert erscheinenden Unions-Haus wäre programmiert.

Merkel und Seehofer stehen noch, aber sie sind beide schwer beschädigt. Der Kanzlerin ist in den vergangenen Wochen klar geworden, dass selbst die Mehrheit der CDU-Abgeordneten in der Sache Seehofer zustimmt. Dass auch die CDU 2015/16 die Willkommenspolitik der Kanzlerin teils freudig, teils murrend mitgetragen hat, daran will in der Bundestagsfraktion kaum noch einer erinnert werden. Seehofer wiederum bekam in diesen Tagen schmerzlich zu spüren, dass er von seinem ungeliebten Nachfolger in der Münchener Staatskanzlei, Markus Söder, und dem mächtigen Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt, vor sich her getrieben wird. Zugleich musste er sich im Parteivorstand am Wochenende manche Kritik an seinem Zick-Zack-Kurs anhören. Mag Seehofer sich jetzt in der Asylpolitik weitgehend durchgesetzt haben; es dürfte sein letzter Erfolg dieser Art gewesen sein.

In einem Punkt herrscht in beiden Unionsparteien Erleichterung: Der Bruch konnte gerade noch vermieden, im heftigsten „Schwesternkrieg“ seit den Trennungsbeschlüssen von 1976 ein Waffenstillstand erreicht werden. Ein gedeihliches geschwisterliches Miteinander von CDU und CSU ist aber auf absehbare Zeit nicht zu erwarten; dafür sind die seit 2015 geschlagenen Wunden zu tief. Im besten Fall werden Merkel und Seehofer zu einem halbwegs zivilisierten Arbeitsverhältnis zurückfinden. Aber sie werden sich noch stärker als in der Vergangenheit gegenseitig belauern und abwarten, wie sie manche noch offene Rechnung begleichen können. Der „Schwesternkrieg“ wird also weitergehen.

Etwas Positives ist nach fast dreiwöchigem Unionsstreit festzuhalten. In der CDU wie in der CSU überwiegen – noch – die Kräfte, denen die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU als stabilisierendes Element im Parteienspektrum wichtiger ist als Differenzen in Sachfragen oder Eitelkeiten. Das ist der Stand heute. Sollte die CSU bei den Landtagswahlen in Bayern auf unter 40 Prozent abstürzen, würde Merkel von den Bayern zur Hauptschuldigen erklärt. Dann würden Merkel und Seehofer wieder in ihren bekannten Rollen schlüpfen – als ziemlich beste Feinde.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 3. Juli 2018.


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