21.06.2018

„Getrenntes Marschieren“ führt ins Abseits

Der aktuelle Streit zwischen CDU und CSU ist wohl der heftigste seit dem Trennungsbeschluss, den Franz Josef Strauß selig 1976 in Kreuth herbeigeführt hatte. Vollzogen wurde die Scheidung jedoch nie. Als nämlich Helmut Kohl in München Büroräume für eine bayerische Landesgeschäftsstelle der CDU suchen ließ, gab Strauß auf. Eine CDU in Bayern hätte damals den Verlust der absoluten CSU-Mehrheit bedeutet; heute würde ein solcher Schritt die ohnehin mageren Aussichten der CSU auf die absolute Mehrheit der Sitze zunichtemachen.

Gleichwohl: Ein Bruch ist derzeit nicht auszuschließen, weil Innenminister Horst Seehofer seinen „Masterplan Integration“ unbedingt durchsetzen möchte – Richtlinienkompetenz der Kanzlerin hin, Richtlinienkompetenz her. Die Meinungsforscher von INSA haben schon mal vorsorglich gefragt, wie die Deutschen wählen würden, wenn CDU und CSU in ganz Deutschland getrennt antreten würden. Das Ergebnis regt die Phantasie von Wahlstrategen an: CDU 22 Prozent, CSU 18, SPD 17, Linke 12, AfD 11, Grüne 10 und FDP 6. Das bedeutete also 40 Prozent für die CDU/CSU gegenüber mageren 29 Prozent bei Beschränkung der CSU auf Bayern und der CDU auf die restlichen fünfzehn Bundesländer.

Interessant ist der Vergleich zur Bundestagswahl. Die CDU bekam im September 2017 außerhalb Bayerns 26,8 Prozent, während die CSU innerhalb der weiß-blauen Grenzen auf 38,8 Prozent kam. Umgerechnet auf den Bund entsprach das CSU-Ergebnis 6,2 Prozent. In der aktuellen INSA-Umfrage müsste die CDU also 4,8 Punkte abgeben, während die CSU ihren Anteil fast verdreifachen könnte. Das ist insoweit nicht überraschend, als die CSU plötzlich von deutlich mehr Menschen gewählt werden könnte – und auch würde – als die CDU. Auch könnte die CSU der Umfrage zufolge zahlreiche von der CDU zur AfD abgewanderte Wähler zurückholen. Bei den Mandaten käme es zu einer deutlichen Verschiebung zu Gunsten der CSU und zu Lasten der CDU. Das dürfte der CDU nicht gefallen.

Gleichwohl wäre es – jedenfalls theoretisch – sinnvoll, wenn die CSU auch außerhalb Bayerns auf dem Stimmzettel stünde. Dann könnte sie all die Wähler einsammeln, denen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ebenso missfällt wie die sozialdemokratische Sozial- und die grüne Energiepolitik der CDU, die ihre „alte CDU“ vermissen und deshalb bereits zur AfD abgewandert sind oder mit diesem Gedanken spielen. Umgekehrt hätte eine noch deutlicher sozialdemokratisierte, grün imprägnierte CDU die besten Chancen, links der Mitte zu gewinnen, was sie rechts der Mitte an die CSU verliert. Das wäre dann die optimale Ausschöpfung des Wählerpotentials der Union – links wie rechts der Mitte. Soweit die Theorie.

In der Praxis würden zwei im ganzen Land konkurrierende Unionsparteien die gewohnte Schlachtordnung verändern. Denn das bedeutete einen gnadenlosen Kampf zwischen CDU und CSU – von Wahlkreis zu Wahlkreis und von Bundesland zu Bundesland. Überall konkurrierten CDU und CSU um Erst- und Zweitstimmen. Da es leichter ist, Stimmen aus dem bürgerlichen Lager für sich zu gewinnen als bisherige SPD- oder Grünen-Wähler zu überzeugen, würden CSU und CSU im selben Teich fischen. Die Formel, „aufeinander einschlagen, gemeinsam siegen“, kann deshalb kaum aufgehen.

Natürlich könnten CDU und CSU nach der Wahl koalieren, wozu nach Lage der Dinge ein dritter Partner notwendig wäre. Eine dezidiert um konservative Wähler werbende CSU müsste im Wahlkampf ein Zusammengehen mit den Grünen ausschließen, während die „moderne“ CDU ganz gewiss auf Schwarz-Grün setzte. Das dürfte die Wähler eher verwirren als überzeugen. Ohne CSU könnte eine 22-Prozent-CDU sogar von der SPD überholt und somit zum Juniorpartner degradiert werden – ohne Aussicht auf das Kanzleramt. Funktionieren könnte eine Trennung der beiden „Schwestern“ allenfalls, wenn CDU und CSU sich nicht im Streit trennen, sondern einvernehmlich. Diese „friedliche Koexistenz“ sähe dann so aus: Die CSU tritt außerhalb Bayerns mit Landeslisten an, die CDU in Bayern. CSU-Wähler außerhalb Bayerns könnten demnach mit der Erststimme die Kandidaten der Schwesterpartei wählen; nicht ein einziges CDU-Direktmandat ginge auf diese Weise verloren. Umgekehrt müsste die CSU in Bayern nicht um ihre Wahlkreise bangen. Spinnen wir den Gedanken weiter: Wenn beide C-Parteien klug vorgehen, einigen sie sich darauf, keinen Wahlkampf gegeneinander zu führen. Die CSU müsste sich zudem verpflichten, auf ihren Landeslisten außerhalb Bayerns nur solche Kandidaten zu nominieren, die bisher nicht Mitglieder der CDU waren. Bei der CDU nicht zum Zug gekommene Bewerber um eine Nominierung könnten also nicht „überlaufen“ und einen „Rachefeldzug“ gegen die CDU führen. Es läge nahe, dass die CSU auch außerhalb Bayerns bekannte CSU-Politiker auf die ersten Plätze ihrer nicht-bayerischen Landeslisten setzt. Eigene Landeslisten sicherten der CSU zudem zusätzliche Medienauftritte und verstärkten so die Unions-Präsenz in Talkrunden und ähnlichem außerhalb Bayerns.

Sicher ist auch: Sollten CSU und CDU völlig zerstritten in eine Wahl ziehen, ohne gemeinsame(n) Kanzlerkandidatin(en) und mit sich teilweise widersprechenden Wahlprogrammen, wäre das ein Konjunkturprogramm für die AfD und würde zudem selbst der am Boden liegenden SPD etwas Auftrieb geben. Deshalb sind Umfragen wie die von INSA ebenso interessant wie Spekulationen über ein solches Szenario. Aber die Chance, CDU und CSU könnten sich friedlich-schiedlich auf eine solche Strategie verständigen, ist noch geringer als die auf eine wirksame europäische Lösung zur Verhinderung unkontrollierter Zuwanderung.

Veröffentlicht auf www.tichyseinblick.de am 21. Juni 2018.


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