25.05.2018

In der BAMF-Affäre setzt Seehofer auf Angriffspressing

Man stelle sich für einen Augenblick vor, 2015/2016 hätte eine rot-grüne oder rot-rot-grüne Koalition den unkontrollierten Zustrom von echten und vermeintlichen Flüchtlingen willkommen geheißen. Mit welchem Genuss würden heute CDU und vor allem die CSU geißeln, dass während des damaligen Kontrollverlusts Menschen ein Bleiberecht auf eine dem Rechtsstaat Hohn sprechende Weise zugestanden wurde - auf Grund von Bestechung, Betrug oder gutmenschlichen Gefühlsaufwallungen. Die um ihre absolute Mehrheit bangende CSU hätte einen Wahlkampfschlager par excellence.

Doch die Lage ist eine andere. Dies alles ist damals unter Verantwortung einer CDU-Kanzlerin und eines CDU-Innenministers geschehen, zustimmend und wohlwollend begleitet von den mitregierenden Sozialdemokraten sowie von der grünen und linken Opposition. Scharf kritisiert wurde die Willkommenspolitik lediglich von der CSU, die es aber trotz heftiger Vorwürfe („Herrschaft des Unrechts“) darüber nicht zum Koalitionsbruch kommen ließ.

Angesichts dieser Ausgangslage ist der BAMF-Skandal für den heutigen Innenminister Horst Seehofer ein zweischneidiges Schwert. Einerseits wird seine frühere Kritik an der chaotischen Flüchtlingspolitik mit bedenklichen Fakten untermauert. Andererseits sind er und seine CSU als Teil der damaligen GroKo mitgefangen. Um nicht mitgehangen zu werden, muss Seehofer einen Spagat versuchen: rücksichtslos aufklären und dabei klar machen, dass die CSU und insbesondere er auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise stets auf die Gefahren dieses Massenzustroms hingewiesen haben. Das ist nicht einfach. Falls nämlich nur der Eindruck entstünde, Seehofer und die CDU/CSU wollten hier etwas vertuschen, könnte er alle Hoffnungen auf 42 Prozent und mehr im Herbst abschreiben.

Der Innenminister und CSU-Vorsitzende weiß, wie man mit Krisen umgeht. So hat er sich fürs gnadenlose „Angriffspressing“ entschieden, also dem Gegner den Ball schon in dessen eigener Hälfte abzunehmen. Die FDP will einen Untersuchungsausschuss? Seehofer hat nichts dagegen, würde einen entsprechenden Parlamentsbeschluss sogar „ausdrücklich begrüßen“. Die Grünen halten den Innenausschuss für das adäquate Gremium? Seehofer sagt sofort sein Kommen zu. Auch wenn seine Mitarbeiter ihn über die skandalösen Vorfälle in der BAMF-Außenstelle Bremen erst mit Verzögerung informiert haben: An dem Erfahrungs-Juristen Seehofer selbst kann nichts hängen bleiben, was in der Ära des mit zwei juristischen Examina ausgestatteten Thomas de Maizière so gründlich schief gelaufen ist.

Vor dem Innenausschuss wird der Innenminister nächste Woche darlegen, was seinerzeit schief gelaufen ist, er wird Verantwortliche benennen, weitere Untersuchungen ankündigen und Möglichkeiten aufzeigen, dass „Betrug von Amts wegen“ künftig besser unterbunden werden kann. Ob es tatsächlich zu einem Untersuchungsausschuss kommen wird, obwohl FDP und AfD es gemeinsam nicht auf die notwendige Stimmenzahl bringen, ist aus Seehofers Sicht aktuell nicht so wichtig. Im Grunde seines Herzens hätte er wohl nichts dagegen, wenn ein solcher Untersuchungsausschuss die Art und Weise, wie die Kanzlerin damals am Parlament vorbei Politik betrieben hat, einmal ganz genau untersuchen würde - aber natürlich erst nach der bayerischen Landtagswahl.

Veröffentlicht auf www.cicero.de am 25. Mai 2018.


» Artikel kommentieren

Kommentare