30.12.2017

Oppositionsführer - ein Titel ohne Mittel

Gegen eine Neuauflage der Großen Koalition lassen sich verschiedene Gründe vorbringen. Die Zusammenarbeit der beiden größten Parteien stärke weiter die politischen Ränder, wie schon am 24. September zu beobachten war. Oder: Ein Weiterregieren der auf 20,5 Prozent abgestürzten Sozialdemokraten verhindere eine Erneuerung dieser Partei. Oder: Eine Neuauflage von Schwarz-Rot mache es der CDU/CSU nahezu unmöglich, ihr konservatives Profil wieder zu schärfen. Oder: In einem Parlament, in dem die Oppositionsparteien - AfD, Linke, Grüne - nicht die potentielle neue Regierung bilden, fehle es an Spannung. Oder, oder, oder ...

Dümmliche Argumente

Über all das lässt sich diskutieren. Von den GroKo-Gegnern auf dem linken Flügel der SPD und von Teilen der Medien wird jedoch ein anderer Einwand betont: Falls die SPD mitregiere, übernehme ausgerechnet die rechtspopulistische AfD als Größte unter den Kleinen die „Oppositionsführerschaft“. Und das dürfe nicht sein. Deshalb wäre eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung von CDU/CSU die bessere Lösung. Keine GroKo, damit die AfD nicht Oppositionsführerin wird? Das ist von allen möglichen Anti-GroKo-Argumenten, das oberflächlichste, wenn nicht das dümmste. Hier schwelgen SPD-Linke in antifaschistischer Rhetorik, was in diesem Fall schlichtweg lächerlich ist. Denn die zusätzlichen Rechte, die Alexander Gauland und Alice Weidel als „Oppositionsführern“ zuwüchsen, wären sehr überschaubar.

Zunächst einmal: Die Funktion des Oppositionsführers gibt es offiziell gar nicht; sie findet sich weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung des Bundestags. Auch steht dem Vorsitzenden der stärksten Oppositionsfraktion nicht zusätzliche Redezeit zu. Wie lange die Redner der einzelnen Fraktionen insgesamt zu Wort kommen, hängt allein von der Zahl ihrer Abgeordneten ab, nicht von ihrer Stellung im parlamentarischen Gefüge.

Nur etwas für Insider

Die Vorteile der AfD im Fall einer Großen Koalition wären von untergeordneter Bedeutung. Gauland oder Weidel dürften in Parlamentsdebatten immer als Erster oder Erste auf die Kanzlerin oder ein anderes Regierungsmitglied antworten. Bei der Aussprache über den Kanzleretat im Rahmen der Haushaltsberatungen, traditionell ein Höhepunkt parlamentarischer Debatten, dürfte die AfD den ersten Redner ans Pult schicken. Zudem könnte die AfD den Vorsitz im Haushaltsausschuss übernehmen. Das ist zweifellos eine herausgehobene Position. Doch stehen der AfD aufgrund ihrer Größe ohnehin in mehreren Ausschüssen die Ämter des Vorsitzenden zu. Ob es sich dabei um die Ausschüsse für Haushalt, Auswärtige Politik oder Verteidigung handelt, macht keinen großen Unterschied. In den vergangenen vier Jahren stellte Die Linke mit Gesine Lötzsch die Vorsitzende im Haushaltsausschuss. Dass aus roten Zahlen eine schwarze Null wurde, konnte auch die dem Kommunismus nachtrauernde SED-Genossin von einst nicht verhindern.

Bei Licht besehen ist die Rolle des Oppositionsführers eine Kopfgeburt aus dem Treibhaus Berlin. Davon wissen - und sprechen - allenfalls Berliner Insider. Die „Menschen draußen im Lande“ bekommen davon nichts mit, es sei denn, sie verfolgten sämtliche Bundestagssitzungen mit heiligem Ernst auf „Phoenix“. (Dass es nichts schaden könnte, wenn mehr Zuschauer ihren Abgeordneten beim Arbeiten zuschauten, steht auf einem anderen Blatt.) Das war von 2005 bis 2009 so, als der Oppositionsführer Guido Westerwelle hieß. Und das war von 2013 bis 2017 nicht anders, als zunächst Gregor Gysi und später Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch die größte oppositionelle Fraktion anführten.

Auf den Inhalt kommt es an

Dass „Oppositionsführer“ nicht mehr als ein wohlklingender Titel ist, musste schon Guido Westerwelle erleben. Natürlich nutzte der glänzende Redner die Chance, als erster auf die schwarze Kanzlerin oder den roten Vizekanzler zu antworten. Das brachte ihm in den Medien aber weder zusätzliche Zeilen noch mehr Sendeminuten ein. In den Debatten um den Kanzleretat hoffte Westerwelle stets darauf, die Kanzlerin werde persönlich auf ihn antworten. Das tat diese aber so gut wie nie. Dem Herrn Oppositionsführer gefiel das nicht; er betrachtete das als Kränkung und ließ das Merkel auch wissen. Aber ändern konnte er nichts.

Bei Gysi und seinen beiden Nachfolgern an der Spitze der Linken-Fraktion war und ist es nicht anders. Was die Medien über sie berichteten und berichten, hing und hängt allein davon ab, was sie sagen und wie sie es sagen – nicht von dem Zeitpunkt ihres Auftritts in der Debatte. Guido Westerwelle hatte vor großen Debatten in der Fraktionsführung immer die Parole ausgegeben, man müsse es schaffen, mit einer besonders witzigen, besonders scharfen oder besonders ausgefallenen Formulierung in „Tagesschau“ und „heute“ zu kommen. Der Profi wusste, dass der Titel „Oppositionsführer ohne großen praktischen Nutzen ist. Das war bei den Linken in der letzten Legislaturperiode nicht anders. Und das wird auch im neuen Bundestag so sein. „Oppositionsführer“ ist ein Titel ohne Mittel.

Veröffentlicht auf www.cicero.de am 30. Dezember 2017.


» Artikel kommentieren

Kommentare