Presse

08.10.2009

Polit-Talkshows - Bühnen der Macht

Immer weniger Talk, immer mehr Show – Persönliche Erfahrungen in und mit Talkshows

Vorweg ein Bekenntnis: Wenn ich beim „Zappen“ irgendwo hängen bleibe, dann bei Talkshows. Dass ich sie nicht mehr so regelmäßig und gezielt einschalte wie früher, hat einen einfachen Grund: der Austausch von Argumenten, die kontroverse Diskussion und die sachliche Konfrontation werden in den aktuellen Talk-Formaten zunehmend zurückgedrängt zugunsten von Einspielfilmchen, zugunsten von „einfachen Bürgern“ als Verkörperung allen Elends und zugunsten von Schauspielern und anderen Prominenten, die in die Rolle der politischen Experten schlüpfen – was ihnen selten gelingt, aber der Quote offenbar nicht abträglich ist.

Nun kenne ich das Format aus der Sicht der Akteure – als Moderator wie als Gast. Von 1997 bis 2001 moderierte ich im Hessen-Fernsehen zusammen mit Luc Jochimsen, Fernseh-Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, und Manfred Bissinger, Herausgeber und Chefredakteur der Woche, die Sendung 3, zwei, eins: Drei Moderatoren, zwei Gäste, ein Thema.

Man hätte die Sendung auch „Zwei gegen einen“ nennen können. Denn auf Seiten der Moderatoren standen im Zweifelsfall die heutige Abgeordnete der Linkspartei, Jochimsen, und der Schröder-Freund Bissinger gegen mich. Eine Sendung zum Thema Patriotismus mit Lothar de Maizière und Egon Bahr als Gästen kommentierte der letzte Regierungschef der DDR so: Indirekte Rede, ohne Anführungszeichen! Das habe er noch nie erlebt, dass sich die Gastgeber heftiger gestritten hätten als die eingeladenen Politiker. Nun ja, das kam in unserer Sendung mehr als einmal vor. Aber vor und nach der Sendung verstanden wir uns bestens – bis heute.

3, zwei, eins war ein „altmodisches“ Format. Es gab Gelegenheit, Argumente auszutauschen, hier konnte sich ein Dialog entwickeln. Jeder der beiden Gäste legte zum Auftakt in einem zweiminütigen Statement seine Position dar. Dann fühlten Bissinger und ich den Gästen jeweils sechs Minuten auf den Zahn. Bissinger nahm sich den „Rechten“ vor, ich den „Linken“. Anschließend hieß es dann „Feuer frei“ – und es wurde meistens scharf geschossen.

Ich habe damals einiges gelernt über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, zum Beispiel über die Unverfrorenheit, mit der die Staatskanzlei von Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) das Programm zu beeinflussen suchte. Vor der Landtagswahl 1999 wollten wir – was keine sensationell originelle Idee war – Eichel und seinen Herausforderer Roland Koch (CDU) in der Sendung haben. Der Ministerpräsident verweigerte aber das Duell (Koch war da bei Ypsilanti großzügiger). Die Staatskanzlei ließ uns darauf hin wissen, dass sie nunmehr davon ausgehe, dass auch Koch keinen Auftritt haben werde.

Da zeigte sich dann, dass Luc Jochimsen eine partei-unabhängige Linke und in erster Linie Journalistin war. So luden wir den ebenso selbstbewussten wie selbstverliebten hessischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Armin Claus gegen Koch ein. Claus sagte sofort zu und erlebte sein Waterloo.

Wäre es ein Boxkampf gewesen, der Ringrichter hätte nach der dritten Runde den ungleichen Kampf abgebrochen. So aber musste sich Claus von Koch regelrecht verprügeln lassen – unter dem Beifall eines jugendlichen Publikums, das sich überwiegend aus Jung-Unionisten zusammensetzte. Wie Koch-Sprecher Dirk Metz es geschaffte hatte, ausgerechnet beim HR so viele Karten zu ergattern, ist mir heute noch ein Rätsel.

Die zweite Lehre aus dieser HR-Zeit: Wer in den öffentlich-rechtlichen Anstalten beamtenhaftes und bürokratisches Verhalten sucht, der muss (jedenfalls war das damals so) nicht lange suchen.

Das Lehrstück: Bernhard Nellessen, zu dieser Zeit Chefredakteur Fernsehen beim SWR in Mainz, war von dem 3, zwei, eins-Format so angetan, dass er es übernehmen wollte. Sein Vorschlag: Die zweiwöchige Sendung sollte auf Wochenturnus umgestellt und abwechselnd in Frankfurt und Mainz produziert werden. In Frankfurt sollte Luc Jochimsen „Chefin im Ring“ bleiben, in Mainz wäre Bernhard Nellessen der dritte Mann gewesen.

Die Vorteile lagen auf der Hand: Ein deutlich vergrößertes Sendegebiet, mehr Flexibilität bei der Wahl von Themen und Gästen und – nicht zuletzt – ein wöchentlicher Sendeplatz. Ganz nebenbei: Beide Sender hätten alle zwei Wochen ohne eigene Kosten eine Polit-Sendung bekommen.

Luc Jochimsen war von der Idee angetan: Die Arbeitsteilung mit Bernhard Nellessen hätte sie nicht gestört; die Vorteile überwogen, Nachteile gab es keine. Doch zu dieser Kooperation kam es nie. Die wusste der damalige HR-Intendant Klaus Berg zu verhindern. Die Begründung seines Vetos: Wir geben doch „unser Format“ nicht an die Konkurrenz ab. In der ARD hat die deutsche Kleinstaaterei offenbar bestens überlebt.

Als Luc Jochimsen 2001 aus Altersgründen ausschied, wurde die Sendung abgesetzt. Ihr Nachfolger wollte die Vorgängerin nicht mehr auf dem Bildschirm sehen. Aber die letzte Sendung war eine besondere: Als Moderatoren traten Gregor Gysi und Guido Westerwelle auf – als „Gäste“ Luc Jochimsen und ich. (Manfred Bissinger konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht dabei sein und so sprang Holger Weinert als Obermoderator ein.)

Nie werde ich Gysis ersten Kommentar nach der Sendung vergessen: Moderieren sei ja viel anstrengender, als sich befragen zu lassen. Als Gast könne er die Antwort geben, die er geben wolle – notfalls auch ohne auf die Frage einzugehen. Heute aber, als Moderator, habe er genau zuhören und sich ständig Anschlussfragen einfallen lassen müssen, stöhnte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Ja, da kann man dem Genossen Gysi nur beipflichten. Nach der Absetzung von 3, zwei, eins habe ich nur selten noch moderiert. Aber als Talkshow-Gast genieße ich bisweilen dieselbe Freiheit, von der Gysi schwärmte: man kann die gestellten Fragen beantworten, muss es aber nicht.

Apropos Talkshow-Gäste: Was mir bei Anfragen immer auffällt, ist der Wunsch der Redaktionen nach möglichst ausgefallenen Ansichten. Ein Regionalsender wollte mich einmal in einer Gesprächsrunde zum Thema „Frauen und Macht“ haben. Man erwartete von mir ein Statement der Art, dass die Frauen inzwischen eher zuviel Einfluss in Politik und Publizistik hätten. Kaum hatte ich den Redakteur wissen lassen, ich sei dezidiert nicht dieser Ansicht, war ich wieder ausgeladen.

Bisweilen gewinnt man den Eindruck, manche Kolumne in Magazinen und Illustrierten werde nur geschrieben, weil der Autor endlich mal wieder in ein TV-Studio möchte. Ich biete jede Wette an: Der erste Kolumnist, der „als Beitrag zur inneren Einheit“ für Thüringen eine Koalition von CDU und Linkspartei fordert, darf durch sämtliche Talkshows tingeln. Ist es auch Unsinn, so verspricht es doch Quote!

Auch bei der Auswahl so genannter „Normalbürger“ wird nach dem Motto „die Ausnahme ist die Regel“ verfahren. Deshalb werden die Gesprächsrunden von Menschen bevölkert, deren Situation eher außergewöhnlich als typisch ist.

Die Folge: Dort trifft man Rentnerinnen, die drei Kinder großgezogen und immer gearbeitet haben, aber trotzdem von der Grundsicherung leben müssen. Dort trifft man allein erziehende Mütter von fünf Kindern von drei verschiedenen Vätern, die dem Staat vorwerfen, sich nicht genügend um sie zu kümmern. (Dass die Erzeuger nichts zur Ernährung beitragen wollen, wird als unabänderliches Faktum hingenommen).

Dort trifft man die Funktionäre von Ausländerorganisationen, die auf irgendeiner, vom Steuerzahler bezahlten Menschheitsbeglückungs-Planstelle sitzen, und den Staat, der sie finanziert, als ausländerfeindlich beschimpfen.

Und dort trifft man Groß-Kommentatoren, die den Politikern voller Inbrunst ihre Widersprüche vorwerfen – weil sie genau wissen, dass die Politiker ihnen nicht umgekehrt ihre eigenen, mit dem Politbarometer schwankenden Ansichten vorhalten.

Da kommt man manchmal ins Träumen, wen man in unseren Talkshows gerne mal treffen oder sehen würde: Zum Beispiel einen Moderator, der dem seine Diäten verteidigenden Bundestagsabgeordneten Folgendes sagt: „Wissen Sie, für diese läppischen 7700 Euro, die sie im Monat verdienen, würde ich bei der Volksbank Wanne-Eickel noch nicht einmal einen Kurzvortrag halten. Unter 10000 geht gar nichts – und das drei Mal pro Woche. Aber ich bezeichne Sie trotzdem als überbezahlt, weil meinen Zuschauern das gefällt.“
Zum Beispiel einen Rentner, der sagt: „Ich bekomme 1200 Euro Rente im Monat vom Staat plus 300 Euro Betriebsrente, meine Frau bekommt 500 Euro. Die Eigentumswohnung ist abbezahlt und uns geht es gut.“

Zum Beispiel einen Ostdeutschen, der sagt: „Nein, seit der Wiedervereinigung haben wir nicht den Himmel auf Erden. Aber ich schätze die Freiheit, mich nicht ständig zu diesem Staat bekennen zu müssen, reisen zu können, wohin ich will, und dass meine Kinder auch ohne FDJ-Mitgliedschaft und ohne Jugendweihe einen Studienplatz bekommen werden.“

Zum Beispiel einen Facharbeiter, der sagt: „Wir haben zwei Kinder und überlegen, ob wir uns ein drittes leisten können, wissen aber nicht, woher wir das Geld für die dann notwendige größere Wohnung nehmen sollen. Ja, ich beneide den Hartz-IV-Empfänger, der genau weiß, dass bei jedem Familien-Zuwachs der Staat automatisch dafür sorgt, dass das verfügbare Einkommen mit wächst.“

Zum Beispiel einen jungen Akademiker, der sagt: „Ich verdiene 7000 Euro brutto im Monat. Mich kostet jede Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialversicherung Geld, zudem jede Beitragserhöhung. Ich bin von fast allen staatlichen Transferleistungen ausgeschlossen, zahle im Kindergarten die höchsten Gebühren, werde aber besteuert, als wolle mich der Staat gezielt bestrafen.“

Nein, eine Talkshow mit solchen Gästen werden wir nie sehen. Denn eine Tendenz ist unverkennbar: Den Sendern, auch den öffentlich-rechtlichen, kommt es immer mehr auf die Show und immer weniger auf den informativen Talk an. Trotzdem werde ich beim „Zappen“ an der nächsten Talkshow hängen bleiben – und sei es nur, um mich zu wundern oder zu ärgern.

Aus: Sascha Michel/Heiko Girth (Herausgeber): „Polit-Talkshows – Bühnen der Macht. Ein Blick hinter die Kulissen“



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